2.1 Ziele der Sozialhilfe
2.1.1 Schutz der Menschenwürde
Rz. 4
Die Sozialhilfe soll die Führung eines menschenwürdigen Lebens sichern. Ursprünglich wurde das Fürsorgewesen als Teil des Polizei- und Ordnungsrechts verstanden und ein individual-rechtlicher Anspruch auf Sozialhilfe verneint. Doch schon bald nach Inkrafttreten des Grundgesetzes hat das BVerwG insbesondere aus dem Menschenwürdegrundsatz des Art. 1 Abs. 1 GG das verfassungsrechtliche Gebot zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein hergeleitet (BVerwGE 1 S. 159). Das Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 2 GG gebietet ebenso die Absicherung des Existenzminimums durch staatliche Leistungen der Sozialhilfe. Diese verfassungsrechtlichen Vorgaben greift § 9 Satz 1 auf. Die Vorschrift macht zugleich deutlich, dass die Sozialhilfe nicht nur die verfassungsrechtlich gebotene Absicherung des Existenzminimums umfasst, sondern darüber hinaus die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft ermöglichen soll. Dies beinhaltet auch die Integration gesellschaftlicher Randgruppen (Hochheim, in: Hauck/Noftz, SGB I, § 9 Rz. 33).
2.1.2 Hilfe zur Selbsthilfe
Rz. 5
Die Sozialhilfe soll den Leistungsempfänger zur Selbsthilfe befähigen. Dies dient dem Ziel der Sozialhilfe, den Leistungsempfänger in die Lage zu versetzen, unabhängig von Sozialhilfe zu leben (§ 1 Satz 2 SGB XII). Der mit Wirkung zum 1.1.2005 eingeführte Satz 2 betont die Mitwirkungspflicht des Hilfeempfängers. Die Mitwirkungsobliegenheiten und die daraus erwachsenden Konsequenzen sind im Einzelnen in den §§ 60 bis 67 geregelt.
2.2 Grundsätze der Sozialhilfe
2.2.1 Nachrang
Rz. 6
Anspruch auf Sozialhilfe hat gemäß Satz 1 nur derjenige, der nicht aus eigenen Mitteln den Lebensunterhalt bestreiten kann, in besonderen Lebenslagen nicht in der Lage ist, sich selbst zu helfen, und auch von anderer Seite keine ausreichende Hilfe erhält. Als eigene Mittel nennt § 2 Abs. 1 SGB XII die eigene Arbeitskraft sowie Einkommen und Vermögen. Eine sinngemäß gleiche Regelung enthält § 9 Abs. 1 SGB II. Als Verpflichtungen anderer sind in § 2 Abs. 2 SGB XII beispielhaft Unterhaltspflichten und Verpflichtungen anderer Sozialleistungsträger genannt. Das SGB II normiert Entsprechendes. Im eigentlichen Sinne beinhaltet der Nachranggrundsatz, dass der Sozialhilfeanspruch hinter anderen vorrangigen Ansprüchen des Betreffenden rechtlich zurücktritt. Trotz rechtlicher Nachrangigkeit des Sozialhilfeanspruches kann dieser gleichwohl bestehen, wenn der vorrangige Anspruch nicht aktuell realisierbar ist, also "keine bereiten Mittel" zur Verfügung stehen. Dies ist allerdings dem mit dem Nachranggrundsatz eng verbundenen Bedarfsdeckungsgrundsatz zuzuordnen (vgl. Rothkegel, Sozialhilferecht, Teil II, Kapitel 7, Rz. 15). Ausprägungen des Nachranggrundsatzes sind die Vorschriften zum Übergang von Ansprüchen, insbesondere Unterhaltsansprüchen nach §§ 93, 94 SGB XII (auch Überleitung genannt) und § 33 SGB II, sowie die Befugnis des Sozialhilfeträgers, die Feststellung einer Sozialleistung zu betreiben sowie Rechtsmittel einzulegen (§ 95 SGB XII).
2.2.2 Bedarfsdeckung
Rz. 7
Der Hilfebedürftige hat gemäß Satz 1 ein Recht auf persönliche und wirtschaftliche Hilfe, die seinem Bedarf entspricht. Dies ist Ausdruck der aus dem Sozialstaatsprinzip erwachsenden staatlichen Verpflichtung, die Menschenwürde zu schützen, indem durch Sozialleistungen die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein gewährleistet werden. Der danach erforderliche Bedarf umfasst mehr als das bloße Existenzminimum (BVerfG, Urteil v. 9.2.2010, 1 BvL 1/09). Bedarf und Bedürftigkeit bestimmen Inhalt und Umfang der Sozialhilfeleistungen. Der Bedarf kann in Bezug auf persönliche und wirtschaftliche Hilfe bestehen. Letztere beinhaltet Geld- und Sachleistungen. Bedarf und Bedürftigkeit müssen gegenwärtig bestehen. Sozialhilfe dient dazu, in einer gegenwärtigen Notlage Hilfe zu leisten; es muss Zeitidentität bestehen. Grundsätzlich wird Sozialhilfe weder wegen einer in der Vergangenheit bestandenen noch wegen einer künftigen Notlage gewährt. Aus Gründen der Praktikabilität werden die Leistungen zu Monatsbeginn im Voraus gewährt. Die Bewilligung erfolgt nicht durch Verwaltungsakt mit Dauerwirkung i. S. d. § 48 SGB X. Seit dem 1.1.2005 gilt dies freilich nur noch für die allgemeine Sozialhilfe nach dem SGB XII. Die Leistungen der Grundsicherung im Alter werden hingegen grundsätzlich durch Dauerverwaltungsakt für 12 Monate (§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB XII), die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für Arbeitsuchende werden grundsätzlich für 6 Monate bewilligt (§ 41 Abs. 1 Satz 2 SGB II).
2.2.3 Individualisierung
Rz. 8
Der Hilfebedürftige hat Anspruch auf die Hilfe, die seinem besonderen Bedarf entspricht. Der Individualisierungsgrundsatz gewährleistet, dass der jeweilige Hilfebedürftige am Leben in der Gemeinschaft teilnehmen und ein menschenwürdiges Leben führen kann. Ausgeformt ist der Grundsatz in § 9 Abs. 1 SGB XII, wonach sich die Leistungen nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach der Art des Bedarfs, den örtlichen Verhältnissen, den eigenen Kräften und Mitteln der Person oder des Haushalts bei der Hilfe zum...