Entscheidungsstichwort (Thema)
Höhe der Vergütung einer Schulbusbegleitung
Leitsatz (amtlich)
1. Im Bereich geringfügiger Beschäftigung ist zur Beurteilung der Sittenwidrigkeit des gezahlten Lohns kein pauschaler Aufschlag vorzunehmen, um den Nettocharakter der empfangenen Zahlung auszugleichen und eine Vergleichbarkeit mit dem üblichen Brutto(stunden)lohn zu ermöglichen.
2. Zu den Anforderungen an die Sittenwidrigkeit einer vereinbarten "Tourenpauschale" für Schulbusbegleitpersonen.
Leitsatz (redaktionell)
Die Vereinbarung einer Vergütung von 3,40 EUR je Stunde für die Begleitung eines Schulbusses ist sittenwidrig und damit unwirksam.
Normenkette
BGB § 307 Abs. 1 S. 1, § 138 Abs. 1, §§ 615, 305c Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Essen (Aktenzeichen 3 Ca 2940/12) |
Nachgehend
Tenor
Unter Zurückweisung der Anschlussberufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 25.04.2013 - Az. 3 Ca 2940/12 - auf die Berufung der Klägerin teilweise abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 4.351,12 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz auf 3.982,12 € seit dem 20.11.2012 und auf 369,00 € seit dem 01.11.2012 zu zahlen.
- Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz trägt die Beklagte zu 3/4, die Klägerin zu 1/4. Die Kosten der Berufungsinstanz trägt die Beklagte.
- Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über ergänzende Lohnzahlungsansprüche vor dem Hintergrund der möglichen Sittenwidrigkeit des tatsächlich gezahlten Entgelts.
Die 60 Jahre alte Klägerin war im Zeitraum zwischen dem 10.02.2012 und dem 31.10.2012 als Busbegleitung bei der Beklagten beschäftigt. Die Arbeitsaufgabe der Klägerin bestand darin, während einer morgendlichen Tour gemeinsam mit einer Busfahrerin - der Zeugin L., die die Schwester der Klägerin ist - geistig und körperlich behinderte Schüler an verschiedenen Zustiegspunkten abzuholen und zur Traugott-Weise-Schule in Essen zu bringen; nachmittags waren die Schüler nach Beendigung des Unterrichts dort wieder abzuholen und nach Hause zu fahren. Dabei wurde die Klägerin selbst auf beiden Touren von zu Hause abgeholt und auch wieder dorthin zurückgebracht. Wegen der zu befördernden Personen im Einzelnen und deren vorgegebener morgendlicher Abholzeit wird auf Blatt 110 der Akte Bezug genommen. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag wurde zunächst nicht geschlossen. Für ihre Tätigkeit erhielt die Klägerin ab Beginn des Arbeitsverhältnisses zwei Tourpauschalen von jeweils 7,50 € pro Arbeitstag. Die Beklagte leistete Zahlungen nur bei erbrachter Arbeitsleistung. Entgeltfortzahlung für Ferien-, Brücken-, Feiertage, an denen keine Touren anfielen, oder bei Arbeitsunfähigkeit erhielt die Klägerin nicht; ebenso wenig wurde ihr bezahlter Erholungsurlaub gewährt. Bei ihrer Einstellung oder etwa zwei Wochen später unterzeichnete die Klägerin einen "Hinweis für den Arbeitnehmer", wonach das Arbeitsverhältnis der Parteien "im Übrigen" den für den Arbeitgeber geltenden Tarifverträgen für die gewerblichen Arbeitnehmer des privaten Omnibusgewerbes des Landes Nordrhein-Westfalen in ihrer jeweils letzten Fassung unterliege. Das Schreiben verblieb bei der Beklagten, eine Abschrift oder Kopie hiervon erhielt die Klägerin nicht. Die Beklagte ist Mitglied des tarifschließenden Arbeitgeberverbandes. Diesem gehören nach eigenen Angaben 450 der 718 privaten Omnibusunternehmen im Land Nordrhein-Westfalen an. Die Beklagte vergütete der Klägerin für den Monat Februar 2012 195,00 €, für März 2012 330,00 €, für April 2012 165,00 €, für Mai 2012 270,00 €, für Juni 2012 285,00 € und für Juli 2012 75,00 €.
Am 18.07.2012 trafen die Parteien eine Vereinbarung folgenden Inhalts:
"Hiermit vereinbaren die oben aufgeführten Vertragsparteien einvernehmlich, dass das bestehende Arbeitsverhältnis bis zum 21.08.12 ordentlich abgerechnet wurde.
Sämtliche beiderseitige Forderungen sind bis zum oben genannten Zeitpunkt abgegolten, sein sie bekannt oder unbekannt genannt oder ungenannt."
Am selben Tag schlossen die Parteien unter Nutzung eines von der Beklagten vorgelegten Formulars einen schriftlichen "Arbeitsvertrag Gleitzonenverhältnis", wegen dessen Inhalts auf Blatt 26 ff. der Gerichtsakte verwiesen wird und in dem es unter anderem heißt:
"1.Tätigkeitsbereich, Tätigkeitsvoraussetzungen und Arbeitszeit
a) Der Mitarbeiter wird vom Arbeitgeber als Busbegleitung beschäftigt. Er kann jedoch auf für alle sonstigen Arbeiten, die unter Berücksichtigung der betrieblichen Erfordernisse notwendig sind, eingesetzt werden.
b) Der Mitarbeiter ist zur Verschwiegenheit über alle betrieblichen Angelegenheiten auch für die Zeit nach dem Ausscheiden aus der Firma verpflichtet.
c) Die durchschnittliche regelmäßige Arbeitszeit beträgt ca. 20,5 Wochenstunden.
Soweit die Schliesszeiten- Ferien- der Schulen und oder Werkstätten den zustehenden Jahresurlaub überschreiten, ruht während der Zeit das Arbeitsverhältnis mit allen Rechten und Pflichten. Diese Ze...