Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendungsbereich des HAG. Keine Verwirkung von Nachforderungen
Leitsatz (amtlich)
Einzelfall (Anschluss an LAG Köln, Urteil vom 27.06.2011 - 2 Sa 120/11).
Leitsatz (redaktionell)
1. a) Wegen der Gruppengleichstellung ist nicht mehr zu prüfen ist, ob die betreffende Schreibkraft persönlich schutzbedürftig im Sinne des § 1 Abs. 2 HAG ist.
b) Der Heimarbeitsausschuss überprüft im Rahmen der Gruppengleichstellung, ob eine abstrakt definierte Gruppe von erwerbstätigen Personen wegen ihrer Schutzbedürftigkeit in den Schutzbereich des HAG aufgenommen werden.
c) Die Feststellung der Schutzbedürftigkeit im Rahmen der Gleichstellungsentscheidung obliegt allein dem Heimarbeitsausschuss und nicht den Arbeitsgerichten.
2. a) Es ist im Grundsatz Sache des Auftraggebers, sich das erforderliche Wissen darüber zu verschaffen, ob und welchen rechtlichen Beschränkungen die Vergabe von Lohnarbeit an Heimarbeiter und gleichgestellte Personen unterliegt; eine Offenbarungspflicht des Gleichgestellten ist in der Regel nicht anzuerkennen.
b) Irrige Vorstellungen des Auftraggebers schließen die Geltung der Vorschriften des Heimarbeitsrechts nicht aus. Da die Vorschriften des Heimarbeitsgesetzes, die in Ausführung des Gesetzes erlassenen Gleichstellungen und bindenden Festsetzungen den Schutz der betroffenen Personen und Personengruppen bezwecken, muss der Gedanke des Sozialschutzes auch im Zusammenhang mit der Aufklärungspflicht gegenüber Auftraggebern gelten.
c) Nur unter ganz besonderen Umständen kann deshalb einem Gleichgestellten die Berufung auf die zu seinen Gunsten und zu seinem Schutz erlassene Gleichstellungsanordnung versagt werden.
Normenkette
HAG §§ 1, 25
Verfahrensgang
ArbG Köln (Aktenzeichen 8 Ca 8897/09) |
Tenor
Das Versäumnisurteil vom 25.10.2011 wird aufrechterhalten.
Die weiteren Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Das klagende Land nimmt die Beklagte, ein im Adresshandel tätiges Unternehmen, nach § 25 HAG auf die Nachzahlung eines Minderbetrags an Frau S in Anspruch. Frau S wurde von der Beklagten in der Zeit von August 2008 bis Juni 2009 mit der Erledigung von Schreibaufträgen beauftragt. Sie hat ein Gewerbe in Form eines Schreibbüros angemeldet und die Tätigkeiten von zu Hause aus ohne fremde Hilfskräfte verrichtet.
Nach der "Bekanntmachung einer Gleichstellung betreffend Adressenschreiben, Schreibarbeiten und ähnliche Arbeiten vom 05.12.1991 in der Fassung vom 07.12.1993" (Bl. 14 d. A.), die auf Grundlage von § 1 Abs. 2 und Abs. 4 HAG erlassen wurde, gelten als den in Heimarbeit Beschäftigten gleichgestellt solche Personen, die ein Gewerbe angemeldet haben und ohne Heimarbeiter oder fremde Hilfskräfte das Schreiben von Adressen, Versicherungspolicen usw., Schreib- und Abschreibarbeiten, Korrekturlesen sowie Datenerfassung auf Datenträgern und ähnliche Bürohilfsarbeiten für Personenvereinigungen oder Körperschaften des privaten Rechts in Heimarbeit ausführen.
Nach den §§ 19, 20 HAG sind die Entgelte für Heimarbeit in der Regel als Stückentgelte, und zwar möglichst auf der Grundlage von Stückzeiten, zu regeln. Ist dies nicht möglich, sind Zeitentgelte festzusetzen, die der Stückentgeltberechnung im Einzelfall zugrunde gelegt werden können. Die Entgeltfestsetzung ist im Einzelnen geregelt in der "Bekanntmachung einer bindenden Festsetzung von Entgelten und sonstigen Vertragsbedingungen für Adressenschreiben, Schreibarbeiten und ähnliche Arbeiten in Heimarbeit vom 17.04.2002", zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom 16.09.2008 (Bl. 5 ff. d. A.).
Das Arbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 30.09.2010 (Bl. 160 ff. d. A.) die Klage des Landes wegen unzureichender Darlegung der tatsächlichen Voraussetzungen einer heimarbeitsgleichgestellten Leistungserbringung abgewiesen. Wegen der Einzelheiten des streitigen und unstreitigen Vorbringens sowie der Antragstellung erster Instanz wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
Gegen das ihm am 13.10.2010 zugestellte Urteil hat das klagende Land am 09.11.2010 Berufung eingelegt und diese innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 07.01.2011 unter teilweiser Rücknahme der Klage begründet.
Gegen die säumige Beklagte wurde am 25.10.2011 ein Versäumnisurteil erlassen, wonach sie verurteilt wurde, an Frau S einen Betrag von 950,43 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.10.2009 zu zahlen.
Gegen das ihr am 10.11.2011 zugestellte Urteil hat die Beklagte unter dem 17.11.2011 Einspruch eingelegt.
Im Termin zur Verhandlung über den Einspruch und in der Hauptsache hat die Beklagte nach informatorischer Anhörung der Frau S unstreitig gestellt, dass die streitgegenständlichen Aufträge von ihr ohne fremde Hilfskräfte erledigt worden sind (Bl. 296 d. A.).
Das klagende Land bestreitet, dass die Beklagte überhaupt Kenntnis von dem Internetauftritt der Frau S hatte. Jedenfalls sei die Beklagte durch Vorlage des Gewerbescheins hinreichend ...