Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Berufungsbegründung. Abhängigmachung von Benennung eines badischen Gerichts ohne württembergische Richter. Zweifel an Rechtsschutzinteresse. Berufungsrücknahmefiktion

 

Leitsatz (amtlich)

Weigert sich ein Kläger, seine Berufung zu begründen, solange ihm für seine Berufung nicht ein Gericht mit Sitz in Baden ohne württembergische Richter benannt wird, besteht Anlass zu Zweifeln am Fortbestand seines Rechtsschutzinteresses. Hält die Weigerung mit dieser Begründung auch nach einer Betreibensaufforderung an, gilt die Berufung als zurückgenommen.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 28. Januar 2019 gilt als zurückgenommen.

 

Gründe

I.

Der Kläger 1970 geboren und lebt zur Zeit in V.. Er hat nach dem Abschluss einer kaufmännischen Lehre eine berufsbegleitende Ausbildung im Rettungsdienst absolviert und war später als Rettungssanitäter tätig. Am 19. September 2016 beantragte der Kläger bei der Beklagten, bei der er rentenversichert ist, die Gewährung einer stationären Leistung zur medizinischen Rehabilitation. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 30. September 2016 und Widerspruchsbescheid vom 15. Mai 2017 ab.

Hiergegen hat der Kläger am 22. Mai 2017 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben. Im Termin zur Erörterung des Sachverhaltes vor dem SG am 28. Mai 2018 hat der Kläger mitgeteilt, dass er seit dem 1. März 2018 als Betriebsleiter und Leiter des Rettungsdienstes leitender Angestellter bei einem privaten Krankentransportunternehmen sei. Ihm hätte vor einem halben Jahr noch eine Reha-Maßnahme bewilligt werden müssen, nun werde er eine solche aufgrund seiner aktuellen beruflichen Situation nicht antreten. Es gehe ihn darum, dass klargestellt werde, dass die Beklagte einen Fehler gemacht habe.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 28. Januar 2019 abgewiesen. Gegen den ihm am 31. Januar 2019 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 25. Februar 2019 beim SG „Widerspruch“ erhoben. Er sei durch den Richter benachteiligt worden. Ferner bestehe eine Benachteiligung badischer Bürger durch Gerichtsstand auf württembergischem Boden bei fehlender Verhältnismäßigkeit. Es ergehe der Antrag auf Verlegung des nächstinstanzlichen Gerichtsstandes in badischer Region unter nicht württembergischem Vorsitz, da wiederum eine Benachteiligung zu erwarten sei. Inhaltlich erfolge die Begründung zu einem späteren Zeitpunkt.

Auf die Berufungseingangsmitteilung des Senats und die Aufforderung, die Berufung binnen vier Wochen zu begründen, hat der Kläger mit Schreiben vom 31. März 2019 reagiert. Es sei Badener und erwarte, dass vor einem badischen Gerichtsstand unter Vorsitz nicht württembergischer Beteiligter verhandelt werde. Allein die Demütigung des in Württemberg sitzenden Gerichtsstandes sei nicht hinnehmbar, beleidigend und „badisch menschlich unwürdig“. Wenn der „Adressat“ vorliege, werde die Berufung begründet.

Der Berichterstatter hat den Kläger mit Schreiben vom 2. April 2019 darauf hingewiesen, dass aufgrund seines Wohnsitzes das Sozialgericht Reutlingen, bei dem er ja auch die Klage erhoben habe, erstinstanzlich zuständig gewesen sei, und dass für Berufungen gegen Entscheidungen der Sozialgerichte in Baden-Württemberg ausschließlich das Landessozialgericht Baden-Württemberg mit Sitz in Stuttgart zuständig sei. Der Kläger solle mitteilen, ob er die Berufung fortführen möchte, und für diesen Fall die Berufung bis zum 18. April 2019 begründen.

Nachdem der Kläger hierauf nicht reagiert hat, hat der Berichterstatter ihn mit Schreiben vom 25. April 2019 darauf hingewiesen, dass dies und die bislang unterbliebene Berufungsbegründung Zweifel am Fortbestand seines Rechtsschutzinteresses begründeten, zumal er bereits vor dem SG zum Ausdruck gebracht habe, dass er eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme gar nicht mehr antreten möchte. Er werde daher um Mitteilung gebeten, ob er das Berufungsverfahren fortführen möchte, welches Ziel er damit verfolge und wie er seine Berufung begründe. Sollte er diese Anfrage nicht binnen drei Monaten nach Zugang dieses Schreibens substantiiert beantworten, müsste das Gericht davon ausgehen, dass er an der Fortführung des Rechtsstreites kein Interesse habe. In diesem Fall gelte die Berufung als zurückgenommen. Das Schreiben wurde vom Berichterstatter mit seinem Nachnamen unterschrieben und mit seiner Amtsbezeichnung versehen und wurde dem Kläger am 30. April 2019 mit Postzustellungsurkunde zugestellt.

Der Kläger hat mit Schreiben vom 12. Juni 2019 reagiert. Der erste Teil der Begründung liege dem Gericht vor. Bisher sei kein badischer Gerichtsort mitgeteilt worden. Der Standort des Landessozialgerichts Baden-Württemberg werde als befangen erklärt. Dies resultiere aus der Erfahrung mit der ersten Instanz in Reutlingen. Es könne keine freie, neutrale Verhandlung auf württembergischen Grund erwartet werden. Wenn der badische Gerichtsstand mitgeteilt werde, werde die detaillierte B...

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