Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit. Physiotherapeutin. nicht zur Leistungserbringung zugelassen. Tätigkeit in der Praxis eines zur Leistungserbringung zugelassenen und die Abrechnung durchführenden Physiotherapeuten. Vertrag über eine freie Mitarbeit. Vorliegen einer selbstständigen Tätigkeit oder einer abhängigen Beschäftigung
Leitsatz (amtlich)
Zur selbständigen Tätigkeit einer nicht zur Leistungserbringung im System der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassenen Physiotherapeutin in der Praxis eines zur Leistungserbringung zugelassenen und die Abrechnung durchführenden Physiotherapeuten.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 15. August 2014 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2) bis 4).
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf € 12.019,69 festgesetzt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen und Umlagen nach dem Aufwendungsausgleichsgesetz (AAG) in Höhe von € 12.019,69 aufgrund einer Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) als Physiotherapeutin in der Praxis des Klägers zwischen dem 1. Februar 2008 und dem 31. Dezember 2009.
Der Kläger betreibt eine Krankengymnastik-Praxis. Er ist zur Erbringungen von Leistungen der physikalischen Therapie nach § 124 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) zugelassen. Die Beigeladene zu 1) ist ausgebildete Physiotherapeutin. Sie verfügt nicht über eine Zulassung im Sinne des § 124 SGB V. Sie hatte sich im streitgegenständlichen Zeitraum zur gesetzlichen Unfallversicherung angemeldet und verfügte über eine Berufshaftpflichtversicherung.
Der Kläger und die Beigeladene zu 1) schlossen unter dem 1. Februar 2008 auf der Grundlage des Mustervertrages des Deutschen Verbandes für Physiotherapie (ZVK) - Landesverband Baden-Württemberg e.V. einen “Vertrag über eine freie Mitarbeit„. Der Vertrag enthält unter anderem folgende Bestimmungen:
1. [Die Beigeladene zu 1)] nimmt vom 1.2.08 an eine Tätigkeit in der Praxis [des Klägers] als freier Mitarbeiter auf.
2. [Die Beigeladene zu 1)] übernimmt die Terminierung [ihrer] Patienten bzw. bedient sich für die Terminierung [ihrer] Patienten kostenpflichtig des Rezeptionspersonals der Praxis [des Klägers].
[Die Beigeladene zu 1)] führt eine eigene Patientenkartei, benutzt eigenen Briefbogen und Visitenkarten und ist im Rahmen der Praxisgegebenheiten berechtigt, eigenes Therapiematerial anzuschaffen und zu nutzen.
[Die Beigeladene zu 1)] bestimmt [ihre] Tätigkeitszeit in der Praxis bzw. im Rahmen von Hausbesuchen für die Praxis und auch [ihre] Urlaubsnahme selbst; es erfolgt lediglich eine Abstimmung mit der Praxis im Rahmen der gesonderten Patientenbestellung und der sich daraus ergebenden Belegungsmöglichkeiten der Behandlungsräume, die [der Beigeladenen zu 1)] nicht zur alleinigen Nutzung vermietet sind.
Um im Interesse beider Parteien eine ordnungsgemäße Patienteneinbestellung sicherzustellen, wird [die Beigeladene zu 1)] der Praxis urlaubsbedingte oder in sonstigen Umständen begründete und vorhersehbare Abwesenheitszeiten rechtzeitig zuvor mitteilen.
3. [Die Beigeladene zu 1)] ist nicht weisungsgebunden und unterliegt nicht den allgemeinen Praxisregelungen.
4. [Der Kläger] stellt [der Beigeladenen zu 1)] oder [deren] Mitarbeiter einen für die physiotherapeutische Tätigkeit ausreichend geeigneten Behandlungsraum zur alleinigen Nutzung zur Verfügung. Darüber hinaus gestattet [der Kläger] [der Beigeladenen zu 1)] oder [deren] Mitarbeitern die Nutzung der für eine geregelte Tätigkeit erforderlichen Praxisräume, wie insb. sanitäre Anlagen, Anmelde- und Wartebereich.
5. [Der Kläger] übernimmt für [die Beigeladene zu 1)] auf der Basis einer Rechnungsstellung durch [die Beigeladene zu 1)] den Abrechnungsverkehr mit den gesetzlichen Krankenversicherungsträgern, anderen Kostenträgern und Privatpatienten.
6. Als Vergütung für die nach diesem Vertrag zu erbringenden Leistungen zahlt [der Kläger] 70 Prozent des Abrechnungsbetrages der [von der Beigeladenen zu 1)] innerhalb eines Abrechnungszeitraumes erbrachten Behandlungsleistungen zugunsten von gesetzlich und privat Versicherten an [die Beigeladene zu 1)] aus. Zuzahlungsbeträge nach § 32 Abs. 2 SGB V hat [die Beigeladene zu 1)] von [ihren] Patienten selbst einzufordern; ebenso trifft [die Beigeladene zu 1)] die Verpflichtung zur schriftlichen Zahlungsaufforderung nach § 43b SGB V.
[...]
7. [...]
Darüber hinaus belegt [die Beigeladene zu 1)] spätestens 4 Wochen nach Beginn des Beschäftigungsverhältnisses das die Freie Mitarbeit bestätigende Ergebnis eines durchgeführten Statusfeststellungsverfahrens nach § 7a SGB IV.
Anfallende Steuern und Sozialversicherungsbeiträge, ferner Urlaubs- und Feiertagsvergütung, Weihnachtszuwendung sowie Leistungen bei Krankheit oder nach dem Mutterschutzgesetz werden [vom Kläger] nicht gezahlt.
[...]
9. Dieser Vertrag kann beiderseits mit einer Frist von sechs...