Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Arzneimittelversorgung. Versorgung mit Cannabisarzneimittel nach § 31 Abs 6 SGB 5

 

Orientierungssatz

Zu den Anspruchsvoraussetzungen einer Versorgung mit Cannabisarzneimitteln nach § 31 Abs 6 SGB 5.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 10.11.2022; Aktenzeichen B 1 KR 21/21 R)

 

Tenor

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 05.02.2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Versorgung mit dem Cannabis-Präparat Bedrocan .

Der am 10.10.1976 geborene Kläger leidet an Epilepsie. Seit August 2018 bezieht er eine Rente wegen Erwerbsminderung.

Am 20.03.2017 ging bei der Beklagten ein „Arztfragebogen zu Cannabinoiden nach § 31 Abs. 6 SGB V" ein. Dr. P., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie gab darin an, es solle eine lokalisationbezogene (fokal-) (partielle) symptomatische Epilepsie und epileptische Symptome mit komplexen fokalen Anfällen behandelt werden. Bisher seien eine medikamentöse Therapie und eine stationäre Krankenhausbehandlung durchgeführt worden. Es bestehe gleichzeitig eine Depression. Derzeit werde mit Folsan 5mg, einem Antiepileptikum und einem SSRI behandelt. Zusätzlich werde eine Psychotherapie durchgeführt. Vielfache Therapieversuche hätten sowohl hinsichtlich der Epilepsie als auch der Depression keine Besserung gebracht.

Mit Schreiben vom 24.03.2017 informierte die Beklagte den Kläger über die gutachterliche Einschaltung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK). In seinem Gutachten vom 04.04.2017 verneinte der MDK bei den Diagnosen „Epilepsie und Depression" einen Versorgungsanspruch mit einem Cannabispräparat. Es könne zwar von einer schwerwiegenden Erkrankung ausgegangen werden. Allerdings könne die Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes, dass hierfür keine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Therapiealternative zur Verfügung stehe, nicht nachvollzogen werden. Denn nach den Unterlagen der Kasse habe der Kläger seit 2012 lediglich Verordnungen über zwei Antiepileptika (und einmalig ein Benzodiazepin) erhalten. Eines dieser Medikamente sei zudem nur kurzfristig eingesetzt worden. Für die medikamentöse Behandlung einer Epilepsie stünden jedoch eine Reihe von weiteren Arzneimittelwirkstoffen zur Verfügung, die leitliniengerecht eingesetzt werden könnten. Somit lägen die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Versorgung mit Cannabis nicht vor.

Daraufhin teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 20.04.2017 mit, aufgrund der Ausführungen des MDK habe er keinen Anspruch auf die Versorgung mit dem Arzneimittel Bedrocan (Cannabisblüten).

Gegen diese Entscheidung erhob der Kläger am 15.05.2017 Widerspruch. In dem beigefügten Befundbericht vom 15.05.2017 führte Dr. P. aus, der Kläger befinde sich seit 10/2012 in seiner Behandlung. Die bisherige antiepileptische Therapie habe keine anhaltende Stabilisierung erbracht. Unter Belastungen träten epileptische Anfälle weiterhin auf. Aufgrund der Erkrankung und im Rahmen von zusätzlichen Belastungsfaktoren und der prämorbiden Persönlichkeitsstruktur sei eine zusätzliche anhaltende depressive Störung entstanden. Trotz der stationären Behandlung in der Fachklinik K. (August 2012 bis Oktober 2012) und einer adäquaten und intensiven Therapie sei bislang keine anhaltende Stabilität erreicht worden. Zudem sei das Krankheitsbild des Klägers (Epilepsie, rezidivierende depressive Störung, kombinierte Persönlichkeitsstörung) mittlerweile vom Versorgungsamt als schwere Behinderung mit den Merkzeichen B und G anerkannt worden. Aufgrund der epileptischen Anfallsfrequenz sowie der vorliegenden Depression sei eine Erweiterung der Therapie mit Cannabisblüten geplant. Unter probatorischer Selbstmedikation mit Cannabis habe sich nämlich eine deutliche Frequenzreduktion, bis hin zur Anfallsfreiheit sowie eine erhebliche Besserung der ängstlich-depressiven Symptomatik gezeigt. Deshalb könne die Einschätzung des MDK nicht überzeugen, zumal der Kläger weitere Antiepileptika , unter anderem Carbamazepin, Gabapentin und Valproinsäure , ausprobiert habe.

Auf Anforderung des MDK bzw der Beklagten legte Dr. P. einen weiteren Befundbericht vom 26.06.2017 mit im Wesentlichen identischen Inhalt vor.

In einem weiteren sozialmedizinischen Gutachten vom 04.07.2017 bekräftigte der MDK seine bisherige Einschätzung. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30.08.2017 zurück.

Am 18.09.2017 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben. Entgegen der Auffassung des MDK habe er leitliniengerecht vielfältige medikamentöse Behandlungsversuche unternommen und (seit 2006) neben den bereits erwähnten Präparaten auch noch die Arzneimittel Oxcarbazepin und Levetiracetam eingenommen. Da es jedoch zu Nebenwirkungen gekommen sei bzw die Präparate nicht die gewünschten Wirkungen gebracht hätten, habe er die medikamentöse Behandlung abgebrochen, zumal im Epilepsiezentrum K. eine...

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