Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Überleitung von Ansprüchen. Abgrenzung der Einkommens- bzw Vermögensberücksichtigung. Steuererstattung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Überleitung von Ansprüchen des Leistungsempfängers gegen Dritte nach § 33 Abs 1 SGB 2 aF verlangte zeitliche Deckungsgleichheit zwischen der Leistungspflicht des Dritten und der Grundsicherungsleistung durch den SGB II-Träger. Dies folgt aus dem im Gesetz vorausgesetzten hypothetischen Kausalzusammenhang zwischen der Leistungserbringung und der Nichterfüllung des Anspruchs. Da § 33 SGB 2 der Durchsetzung des Nachranggrundsatzes der §§ 2 Abs 1, 5, 9 SGB 2 dient, kommt es nicht auf den Entstehensgrund und die Beschaffenheit des übergeleiteten Anspruchs an, sondern nur darauf, dass dieser im Zeitpunkt des Hilfebezugs fällig und seinem Gegenstand nach geeignet sein muss, die Notlage abzuwenden. Deshalb sind auch in der Vergangenheit entstandene Ansprüche überleitungsfähig, wenn und soweit sie im Zeitpunkt der Hilfegewährung noch nicht erfüllt sind.
2. Ein Steuererstattungsanspruch ist als Einkommen anzusehen; er ist bereits mit Ablauf des jeweiligen Veranlagungszeitraums entstanden (§ 38 AO) (vgl LSG Stuttgart vom 22.11.2007 - L 7 SO 73/06 - zu § 90 BSHG).
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Reutlingen vom 14. November 2007 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers, der das Sozialgericht Reutlingen (SG) nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist zulässig. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit welcher sich der Antragsteller gegen die Überleitung eines Steuererstattungsanspruchs wendet, im Ergebnis zu Recht abgelehnt.
Der Antragsteller wendet sich in der Sache gegen die Überleitung seiner Ansprüche gegen das Finanzamt Balingen wegen einer Steuererstattung für das Jahr 1996 in Höhe von 3.051,39 € und begehrt die Auszahlung der von der Antragsgegnerin vereinnahmten Beträge in Höhe von 2.804 €. Nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz ist das Begehren des Antragstellers als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs bzw. inzwischen der Klage gegen den Überleitungsbescheid vom 11. Mai 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. November 2007 zu verstehen. Rechtsgrundlage für dieses Begehren ist, was das SG übersehen hat, die Bestimmung des § 86b Abs. 1 SGG, welche in Anfechtungssachen u.a. die gerichtliche Korrektur der fehlenden aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage regelt und vorrangig gegenüber einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG ist. Zwar hatte der Antragsteller mit seinem am 6. November 2007 beim SG gestellten Antrag ausdrücklich nur den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt; im Interesse der Gewährung effektiven Rechtsschutzes ist der gestellte Antrag indes sachdienlich auszulegen (§ 123 SGG) und ggf. auch umzudeuten, um dem erkennbar gewordenen Rechtsschutzziel zum Erfolg zu verhelfen (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Oktober 2006 - L 7 SO 3313/06 ER-B - ≪juris≫; Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahrens, 1. Aufl., Rdnr. 8; Funke-Kaiser in Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, Verwaltungsgerichtsordnung ≪VwGO≫, 4. Aufl., § 80 Rdnr. 68, § 123 Rdnr. 49). Das vorliegende Rechtsschutzverlangen ist unter § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG zu fassen. Da der Klage gegen den auf § 33 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in der bis 31. Juli 2006 geltenden Fassung (Gesetz vom 30. Juli 2004, BGBl. I S. 2014, im Folgenden: a.F.) gestützten Überleitungsbescheid vom 11. Mai 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. November 2007 kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung zukommt (§ 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 39 Nr. 2 SGB II; vgl. Eicher in Eicher/Spellbrink, SGB II, 1. Aufl., § 39 Rdnr. 17), ist im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zur gerichtlichen Korrektur die Regelung des § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG heranziehen. Hiernach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Die vom Antragsteller begehrte Auszahlung der Steuererstattung kann über den unselbstständigen Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch des § 86b Abs. 1 Satz 2 SGG erreicht werden (vgl. Krodel, a.a.O., Rdnr. 179; Keller in Meyer/Ladewig-Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 86b Rdnr. 10).
Die Eilentscheidung in Anfechtungssachen verlangt eine Interessenabwägung, wobei das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes und das durch Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) verfassungsrechtlich geschützte Aussetzungsinteresse gegeneinander abzuwägen sind (vgl. Senatsbeschluss vom 12. April 2006 - L 7 AS 1196/06 ER-B - info a...