Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Überleitung von Ansprüchen. Abgrenzung der Einkommens- bzw Vermögenseinsatz. Steuererstattung. Zuflussprinzip. Ermessen. kein Ausschluss der Überleitung wegen des Einsatzes der Arbeitskraft des Hilfebedürftigen zur Durchsetzung des Anspruchs
Orientierungssatz
1. Teilt das Gericht inhaltlich den Rechtsstandpunkt des Hilfebedürftigen nicht, so kann dies in keinem Fall eine Befangenheit begründen.
2. Zu den Voraussetzungen der Rechtmäßigkeit der Überleitungsanzeige iS des § 90 BSHG gehört nicht, dass der vom Sozialhilfeträger geltend gemachte Anspruch tatsächlich besteht (vgl BVerwG vom 26.11.1969 - V C 54.6934 = BVerwGE 34, 219 = FEVS 17, 203). Rechtswidrig ist eine Überleitungsanzeige lediglich dann, wenn das Bestehen des behaupteten Anspruchs objektiv ausgeschlossen ist (sog Negativ-Evidenz).
3. Das Bestehen und Umfang des übergeleiteten Anspruchs sind nicht nachzuprüfen.
4. Das Merkmal der Gleichzeitigkeit in § 90 Abs 1 BSHG verweist auf einen hypothetischen Kausalzusammenhang zwischen Sozialhilfeleistung und Nichterfüllung des Anspruchs des Hilfebedürftigen gegen den Dritten und setzt lediglich voraus, dass der Anspruch gegen den Dritten im Zeitpunkt des Sozialhilfebezugs fällig und seinem Gegenstand nach geeignet gewesen sein muss, die Notlage abzuwenden. Entscheidend ist dagegen nicht, ob die Mittel für einen mit dem Bedarfszeitraum identischen Zeitraum bestimmt sind.
5. Ein Steuererstattungsanspruch ist als Einkommen in Form einer einmaligen Einnahme anzusehen (vgl BVerwG vom 18.2.1999 - 5 C 35/97 = BVerwGE 108, 296 = FEVS 51, 1); er ist gem § 38 AO bereits mit Ablauf des jeweiligen Veranlagungszeitraums entstanden.
6. Bei der Interessenabwägung im Rahmen des § 90 BSHG rechtfertigen das Gebot der sparsamen Verwendung öffentlicher Mittel und der Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe die Überleitung von Ansprüchen als Regelfall.
7. Ein Ausschluss der Überleitung iS des § 90 Abs 4 BSHG liegt nicht vor, wenn der Hilfebedürftige den Anspruch auf Steuererstattung durch eigene Arbeit erwirtschaftet hat. § 90 Abs 4 BSHG schließt nicht generell jegliche Möglichkeit der Überleitung aus, sobald ein Tätigwerden des Hilfeempfängers vorliegt, sei es auch zur Durchsetzung der betreffenden Forderung.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 17. November 2005 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klage richtet sich gegen die Überleitung von Ansprüchen des Klägers gegen das Finanzamt B auf Rückerstattung von Steuern auf den Sozialhilfeträger nach § 90 Bundessozialhilfegesetz (BSHG).
Der Kläger und seine Ehefrau bezogen vom 15. Juni 2000 bis 31. Dezember 2004 vom Sozialamt A laufende Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG. Die Hilfegewährung erfolgte unter dem Vorbehalt des Aufwendungsersatzes nach § 11 Abs. 2 BSHG, da der Kläger und seine Ehefrau bei Antragstellung angegeben hatten, dass sie aus anhängigen Gerichtsverfahren noch Geldsummen zu erwarten hätten, deren Betrag noch nicht genau feststellbar sei. Unter anderem benannten sie eine Forderung gegen das Finanzamt B in Höhe von 1.236.707,50 DM. Insgesamt wandte das Sozialamt A für den Kläger und seine Ehefrau im Zeitraum vom 15. Juni 2000 bis 31. Dezember 2004 an Sozialhilfeleistungen 29.490,99 € auf.
Nachdem das Sozialamt A die Information erhielt, dass der Kläger Steuererstattungen des Finanzamtes Balingen zu erwarten habe, zeigte es gegenüber dem Finanzamt B mit Schreiben vom 8. November 2004 nach § 90 Abs. 1 BSHG die Überleitung der Erstattungsforderungen in Höhe eines Gesamtbetrages von 29.007,59 € an, welcher auf die Zeit vom 15. Juni 2000 bis 30. November 2004 entfalle. Bei Überweisung erst im Dezember 2004 erhöhe sich der Betrag noch um 477,00 €. Mit Bescheid vom 9. November 2004 erfolgte die Überleitung des Anspruchs gegenüber dem Kläger. Am 7. Dezember 2004 ging eine Einzahlung des Finanzamtes beim Beklagten in Höhe von 17.899,17 € (Steuererstattungen für den Kläger für die Jahre 1999 und 2000) ein sowie eine weitere Einzahlung am 9. Februar 2005 in Höhe von 11.585,92 €.
Gegen den Bescheid vom 9. November 2004 erhob der Kläger am 10. Dezember 2004 Widerspruch und machte geltend, die Überleitung sei für ihn nicht nachvollziehbar, da jeglicher Einzelnachweis fehle. Mit Schreiben vom 21. Dezember 2004 spezifizierte das Sozialamt Albstadt die Sozialhilfeleistungen. Mit Widerspruchsbescheid vom 2. Mai 2005 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung wurde u. a. ausgeführt, dass unter Abwägung aller Gesichtspunkte und unter Beachtung der Verpflichtung zur wirtschaftlichen Verwendung öffentlicher Gelder keine Tatsachen festgestellt werden könnten, welche die Überleitung der Ansprüche des Klägers gegen das Finanzamt bis zur Höhe der für den Kläger und seine Ehefrau aufgebrachten Sozialhilfeaufwendungen ausschließen könnten. Insoweit sei es auch im Hinblick auf d...