Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherung (hier: Kranken- und Pflegeversicherung). Voraussetzung für rückwirkende Feststellung von Versicherungspflicht wegen der Zusammenrechnung geringfügiger Beschäftigungen. Verletzung von Dokumentationspflichten durch den Arbeitgeber
Leitsatz (amtlich)
1. Für eine rückwirkende Feststellung von Versicherungspflicht wegen der Zusammenrechnung geringfügiger Beschäftigungen ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der verschuldeten Verletzung der Pflicht zur Aufklärung des Sachverhaltes und der fehlerhaften sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung durch den Arbeitgeber erforderlich. Hieran fehlt es, wenn auch bei Erfüllung dieser Aufklärungspflicht der sozialversicherungsrechtliche Status unzutreffend beurteilt worden wäre.
2. Die Verletzung von Dokumentationspflichten durch den Arbeitgeber stellt keine Verletzung der Pflicht zur Aufklärung des Sachverhaltes iS § 8 Abs 2 S 4 SGB IV dar.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 09.05.2017 und der Bescheid vom 01.06.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.11.2015 abgeändert. Es wird festgestellt, dass in der Beschäftigung der Beigeladenen bei der Klägerin in der Zeit vom 10.04.2014 bis 20.04.2015 keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung eintrat.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte und die Klägerin tragen die Kosten beider Instanzen zur Hälfte, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Tatbestand
Streitig ist die rückwirkende Feststellung von Versicherungspflicht in der Beschäftigung der Beigeladenen bei der Klägerin für den Zeitraum vom 10.04.2014 bis 20.04.2015 (streitiger Zeitraum), u.a. wegen Zusammentreffens zweier geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse und einer versicherungspflichtigen Beschäftigung.
Die Beigeladene ist seit November 2003 bei der Firma P. H. GmbH versicherungspflichtig beschäftigt. Schon zuvor, ab dem 01.04.2003, war sie bei der Firma M. GmbH geringfügig tätig. Die Beschäftigung bei der Firma M. GmbH endete Ende April 2015 (so Bl. 18 VA) bzw. im Mai 2015 (so Bl. 14 VA, Abmeldung, vgl. Bl. 58 SG-Akte). Im Jahr 2014 betrug das Arbeitsentgelt aus der Beschäftigung bei der Firma M. GmbH durchschnittlich monatlich gerundet 312 €, im Jahr 2015 durchschnittlich monatlich gerundet 259 €.
Zum 10.04.2014 nahm die Beigeladene bei der Klägerin ebenfalls eine Beschäftigung gegen geringfügiges Arbeitsentgelt auf. Ihr monatliches Arbeitsentgelt aus dieser Tätigkeit betrug im Jahr 2014 gerundet 405 €, im Jahr 2015 gerundet 349 €. Anlässlich des Vorstellungsgespräches Anfang April 2014 füllte die Beigeladene einen von der Klägerin vorgelegten Fragebogen zur Prüfung der Sozialversicherungspflicht aus, in dem sie lediglich die Tätigkeit bei der Firma P. H. GmbH angab, allerdings keine Angaben zur Frage der Sozialversicherungspflicht und zum dortigen Arbeitsentgelt machte. Die Tätigkeit bei der Firma M. GmbH verschwieg sie. Anträge in Bezug auf die Sozialversicherung stellte sie nicht. Hinsichtlich der Einzelheiten der Angaben wird auf den Fragebogen Bl. 16 SG-Akte Bezug genommen. Weil im Verlauf des Vorstellungsgespräches - so der Vortrag der Klägerin - deutlich gemacht worden sei, dass es sich bei der Tätigkeit bei der Firma P. H. GmbH um eine Vollzeittätigkeit handele, schloss die Klägerin - so ihr weiterer Vortrag - auf eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung der Beigeladenen bei der Firma P. H. GmbH. Entsprechend meldete die Klägerin die Beigeladene im September 2014 als geringfügig Beschäftigte (Bl. 4 VA).
Mit Bescheid vom 18.04.2015 stellte die Beklagte gegenüber der Klägerin Versicherungspflicht der Beigeladenen in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung ab dem 21.04.2015 fest.
Mit Bescheid vom 01.06.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.11.2015 stellte die Beklagte gegenüber der Klägerin darüber hinaus auch rückwirkend für die Zeit vom 10.04.2014 bis 20.04.2015 diese Versicherungspflicht der Beigeladenen fest. Sie ging (und geht) davon aus, dass die Klägerin es grob fahrlässig versäumte, den Sachverhalt für die zu treffende versicherungsrechtliche Beurteilung der bei ihr aufgenommenen Beschäftigung der Beigeladenen aufzuklären.
Das hiergegen am 09.12.2015 angerufene Sozialgericht Heilbronn hat die Klage mit Urteil vom 09.05.2017 abgewiesen. Es hat die Auffassung der Beklagten bestätigt, die Klägerin habe die Pflicht zur Aufklärung des Sachverhaltes für die versicherungsrechtliche Beurteilung der Beschäftigung der Beigeladenen verletzt. Mit dem von der Beigeladenen ausgefüllten Fragebogen sei die Klägerin ihrer Aufklärungspflicht nicht hinreichend nachgekommen. Dabei werde der Klägerin nicht vorgehalten, die Beigeladene habe die Beschäftigung bei der Firma M. GmbH nicht angegeben. Doch könne anhand der im Fragebogen gemachten unvollständigen Angaben zu der Beschäftigung bei der Firma P. H. GmbH nicht geklärt werden, ob es sich um eine versicherun...