Leitsatz (amtlich)
1. Der bloße Klageantrag auf Verurteilung der Beklagten zur Gewährung einer Erwerbsminderungsrente "ab Antragstellung" bzw "antragsgemäß" ist regelmäßig dahingehend auszulegen, dass entsprechend dem gesetzlichen Regelfall eine Zeitrente begehrt wird.
2. Dem Senat erscheint eine Erstattung der gesamten außergerichtlichen Kosten des Klägers durch die Beklagte auch dann angemessen, wenn der Kläger zunächst eine Dauerrente beantragt hatte und lediglich eine Zeitrente (auf Grund eines Eintritts der Erwerbsminderung spätestens bei Antragstellung) über den Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides hinaus gewährt bekommt, wenn er den Klageantrag unverzüglich dementsprechend reduziert hat.
Tenor
Die Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Sozialgerichts Reutlingen vom 22. August 2006 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Beschwerdeverfahren.
Gründe
Die Beschwerde der Beklagten hat keinen Erfolg.
Die zulässige Beschwerde, welcher das Sozialgericht Reutlingen (SG) nicht abgeholfen hat (vgl. im Einzelnen §§ 172 ff Sozialgerichtsgesetz - SGG -), ist unbegründet. Der Beschluss des SG, nach dem die Beklagte dem Kläger die außergerichtlichen Kosten für das Klageverfahren S 11 R 223/05 in vollem Umfang zu erstatten hat, ist nicht zu beanstanden.
Nach § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG entscheidet das Gericht, wenn das Verfahren - wie im vorliegenden Fall durch Vergleich - anders als durch Urteil beendet wird, auf Antrag durch Beschluss darüber, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Die Kostenentscheidung erfolgt nach sachgemäßem Ermessen. Dieses „Ermessen“ (allg. s. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 176 Rdnr. 4) geht nach Auffassung des Senats auf das Beschwerdegericht über, da es lediglich bedeuten soll, dass es keine zwingenden gesetzlichen Bestimmungen gibt und alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen sind (vgl. Knittel in Hennig, SGG, § 193 Rdnr. 38 m.w.N.; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O. § 193 Rdnr. 17). Hierbei ist insbesondere der nach dem Sach- und Streitstand zum Zeitpunkt der Erledigung zu beurteilende Verfahrensausgang maßgebend (vgl. Bundessozialgericht - BSG - SozR 3-1500 § 193 Nr. 2 und 10); zu berücksichtigen ist auch, ob der Versicherungsträger Anlass zur Klage gegeben hat (vgl. BSG SozR 3-1500 § 193 Nr. 2; SozR 3-5050 § 22 b Nr. 1).
Die Beklagte hat Anlass zur Klageerhebung gegeben. Das SG ist zutreffend - und von der Beklagten insoweit nicht angegriffen - zum Zeitpunkt der Erledigung der Hauptsache von einer auch quantitativen Leistungsminderung des Klägers bereits vor Rentenantragsstellung ausgegangen; die vom Beratungsarzt der Beklagten gegebene Begründung zur Festsetzung des Eintritts des Leistungsfalls, die von ihr im Vergleichsangebot umgesetzt worden ist, kann anhand der im gesamten Verfahren erhobenen Befunde, die eine wesentliche Änderung nicht erkennen lassen, nicht nachvollzogen werden. Zum Zeitpunkt der Erledigung des Rechtsstreits hätte das SG demnach eine Verurteilung der Beklagten zur Gewährung einer Zeitrente - ausgehend spätestens von einem Eintritt des Leistungsfalls im Zeitpunkt der Rentenantragstellung - vorgenommen.
Die Beschwerdebegründung, dem auf Dauerrente gerichteten Klageantrag sei nicht in vollem Umfange entsprochen worden, weswegen nur eine Kostenquotelung in Betracht komme, überzeugt nicht. Der vom Klägerbevollmächtigten mit der Klageschrift vom 25. Januar 2005 angekündigte Antrag auf Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser, Erwerbsminderung „ab Antragstellung“ bzw. „antragsgemäß“, zwingt nicht zur Schlussfolgerung, dass eine Dauerrente begehrt werde. Denn zu den diesbezüglichen Anspruchsvoraussetzungen (s. § 102 Abs. 2 Satz 4 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - SGB VI -: Arbeitsmarktunabhängigkeit und schlechte Prognose) fehlen Ausführungen des rechtskundig vertretenen Klägers; auch hat der angekündigte Antrag nur den Beginnzeitpunkt bezeichnet und zur Bezugsdauer keinerlei Ausführung gemacht. Soweit die Beklagte aus der Bezugnahme auf den Antrag im Verwaltungsverfahren („antragsgemäß“) ein Begehren des Klägers auf Dauerrente ableitet, ist darauf hinzuweisen, dass das Antragsformular der Beklagten weder zwischen Zeit- und Dauerrente unterscheidet noch Angaben über einen Endpunkt ermöglicht. Deshalb kann sie sich - ohne Verstoß gegen Treu und Glauben - insoweit auf eine mangelnde Präzisierung nicht berufen. Darüber hinaus ist die Argumentation der Beklagten, die Ausführungen des Klägers, er stehe dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung, stellten einen Antrag auf Dauerrente dar, nicht nachvollziehbar, denn insoweit ist zusätzlich erforderlich, dass die Erwerbsminderung wahrscheinlich nicht behoben werden kann (schlechte Prognose, s. oben). Hinzu kommt, dass „bestimmte“, d.h. präzise, Klageanträge in der Klageschrift gerade nicht formuliert werden müssen, sondern das Klagebegehren auszulegen ist (s. §...