Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Prozesskostenhilfe. hinreichende Erfolgsaussichten. Zweifel an Verfassungsmäßigkeit einer Norm. hier: § 3 Abs 2 AsylbLG
Leitsatz (amtlich)
Zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe bei Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit einer Norm.
Tenor
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 25. Juli 2011 abgeändert. Der Klägerin wird für das Klageverfahren S 11 AY 7116/10 ab 16. November 2010 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsanordnung bewilligt und Rechtsanwalt J. B., Stuttgart, beigeordnet.
Gründe
Die gemäß § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Klägerin ist nach § 172 Abs. 1 SGG statthaft, weil die Beschwerdeausschlussgründe des § 172 Abs. 3 SGG, insbesondere Nr. 2 a.a.O., nicht eingreifen; das Sozialgericht Stuttgart (SG) hat die Ablehnung der Prozesskostenhilfe (PKH) nicht auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin, sondern allein auf die fehlende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung gestützt. Der Beschwerdeausschluss nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG gilt nach der ständigen Senatsrechtsprechung nur für Entscheidungen über einen PKH-Antrag im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, nicht dagegen für solche in einem Klageverfahren (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 19. Januar 2011 - L 7 AS 4623/10 B - ≪juris≫). Die sonach zulässige Beschwerde ist auch begründet. Die Klägerin hat für das Klageverfahren S 11 AY 7116/10 Anspruch auf Bewilligung von PKH unter Beiordnung des von ihr benannten Rechtsanwalts ab 16. November 2010.
Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält PKH, wer nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne des § 114 ZPO verlangt eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit. Dabei sind freilich keine überspannten Anforderungen zu stellen (ständige Rechtsprechung des Senats unter Verweis auf Bundesverfassungsgericht ≪BVerfG≫ BVerfGE 81, 347). Eine hinreichende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung ist regelmäßig zu bejahen, wenn der Ausgang des Klageverfahrens als offen zu bezeichnen ist. Dies gilt namentlich dann, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von einer schwierigen, bislang höchstrichterlich nicht geklärten Rechtsfrage abhängt oder ein verfassungsrechtlich begründeter Anspruch nicht auszuschließen ist (vgl. BVerfG NJW 1997, 2102; NJW 2004, 1789; Bundessozialgericht ≪BSG≫ SozR 4-1500 § 62 Nr. 9; Leitherer in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 9. Auflage, § 73a Rdnr. 7b), ferner wenn eine weitere Sachaufklärung, insbesondere durch Beweisaufnahme, ernsthaft in Betracht kommt (vgl. BVerfG NZS 2002, 420; info also 2006, 279). Keinesfalls darf die Prüfung der Erfolgsaussichten dazu führen, die Rechtsverfolgung in das summarische Verfahren der PKH zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (vgl. BVerfGE 81, 347, 357).
Unter Beachtung dieser Grundsätze ist eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage zu bejahen. Im Klageverfahren S 11 AY 7116/10 stellen sich schwierige Fragen im rechtlichen und tatsächlichen Bereich, die nicht von vornherein klar zu beantworten sind.
Das SG dürfte zunächst dem streitbefangenen Zeitraum näher nachzugehen und insoweit ferner nachzuprüfen haben, welche Verwaltungsentscheidungen im Klageverfahren angefochten sind. In der Klageschrift ausdrücklich genannt sind der Bescheid vom 19. April 2010 und der Widerspruchsbescheid vom 18. Oktober 2010. Mit dem Bescheid vom 19. April 2010 dürfte die Beklagte - aus der Sicht eines verständigen Erklärungsempfängers (vgl. hierzu etwa BSGE 101, 49 = SozR 4-3520 § 2 Nr. 2 ≪jeweils Rdnr. 11≫) - lediglich über Leistungen für den Monat Mai 2010 entschieden haben; für die folgenden Monate dürften, soweit nach Aktenlage erkennbar, lediglich konkludente Bewilligungen durch Überweisung des Leistungsbetrags erfolgt sein (§ 33 Abs. 2 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch; vgl. hierzu BSGE 101, 49 ≪Rdnr. 13≫). Soweit seitens der Beklagten, wovon der Senat derzeit ausgeht, bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids vom 18. Oktober 2010 konkludente Bewilligungsentscheidungen getroffen worden sein sollten, wären diese, obwohl sie Folgezeiträume betreffen, über eine analoge Anwendung des § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden (vgl. BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 - B 8 AY 11/07 R - ≪juris; Rdnrn.10 f.≫).
Gegenwärtig spricht sonach einiges dafür, dass streitgegenständlich im Klageverfahren nur der Zeitraum vom 1. Mai 2010 bis zum Ergehen des Widerspruchsbescheids vom 18. Oktober 2010 ist. Soweit die Klägerin mit den Leistungsbewilligungen für Zeiträume ab dem letztgenannten Datum nicht einverstanden sein sollte, dürfte, sollten die Verwaltungsentscheidungen auch in dieser Zei...