Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. einstweilige Anordnung. Asylbewerberleistung. keine höheren Leistungen ohne gesetzliche Grundlage

 

Leitsatz (amtlich)

Auch bei Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit einer Norm (hier: möglicher Verstoß gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums) ist es den Gerichten nicht gestattet, dem Antragsteller im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes unmittelbar gestützt auf Verfassungsrecht höhere Leistungen zuzusprechen.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 13. September 2011 aufgehoben. Die Anträge der Antragsteller auf Erlass einer einstweiligen Anordnung werden abgelehnt.

Die Beschwerden der Antragsteller werden zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Beschwerden aller Beteiligten - Antragsteller und Antragsgegnerin - sind zulässig. Sie sind jeweils unter Beachtung der Form- und Fristvorschrift des § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eingelegt worden. Ferner liegen Beschwerdeausschlussgründe im Sinne des § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG nicht vor. Die Zusammenrechnungsregelung des über § 202 SGG anwendbaren § 5 der Zivilprozessordnung (ZPO) gilt auch für die subjektive Antragshäufung (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 9. Auflage, § 144 Rdnr. 16 ≪m.w.N.≫). In Anbetracht der sechsköpfigen Personenzahl der Antragsteller, des vom Sozialgericht Mannheim (SG) im Beschluss vom 13. September 2011 ausgesprochenen Regelungszeitraums (15. August 2011 bis 31. März 2012) sowie der tenorierten Darlehensbeträge (zusätzliches Taschengeld: August 2011 insgesamt 27,43 Euro, September 2011 bis März 2012 jeweils insgesamt 54,83 Euro; Wertgutscheine ≪alltägliche Bedarfe≫: August 2011 insgesamt 65,80 Euro, September 2011 bis März 2012 jeweils insgesamt 131,59 Euro; Wertgutscheine ≪Bekleidung≫: August 2011 insgesamt 16,46 Euro, September 2011 bis März 2012 jeweils insgesamt 32,88 Euro) ist der erforderliche Beschwerdewert von mehr als 750,00 Euro hinsichtlich der Beschwerde der Antragsgegnerin - entgegen den von den Antragstellern geäußerten Bedenken - erreicht. Angesichts der von den Antragstellern zuschussweise verlangten Leistungen sind Beschwerdeausschlussgründe auch bezüglich ihrer Beschwerden nicht gegeben.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.). Die §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939 und 945 ZPO gelten entsprechend (Satz 4 a.a.O.).

Vorliegend kommt nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Neben der Statthafthaftigkeit und Zulässigkeit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bedarf es weiter der Anordnungsvoraussetzungen (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164); eine solche Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutz darf demnach nur ergehen, wenn sowohl der Anordnungsanspruch als auch der Anordnungsgrund gegeben sind. Dabei betrifft der Anordnungsanspruch die Frage der Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs, während der Anordnungsgrund nur bei Eilbedürftigkeit zu bejahen ist. Die Anordnungsvoraussetzungen sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO); insoweit zu stellenden Anforderungen sind umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. schon Beschluss vom 15. Juni 2005 - L 7 SO 1594/05 ER-B - ≪juris≫ unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ≪BVerfG≫; z.B. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927 = Breithaupt 2005, 803; BVerfG, Beschluss vom 29. November 2007 - 1 BvR 2496/07 - NZS 2008, 365). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Senatsbeschlüsse vom 1. August 2005 a.a.O. und 17. August 2005 a.a.O.).

Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen nicht vor. Dem einstweiligen Rechtsschutzbegehren der Antragsteller kann freilich nicht schon die Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO entgegengehalten werden, welche im sozialgerichtlichen Verfahren über § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG auch in Angelegenheiten ...

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