Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Regelungsanordnung. Anordnungsgrund. Asylbewerberleistung. Gewährung von Grundleistungen anstelle von Analogleistungen. Anordnungsanspruch. rechtsmissbräuchliche Selbstbeeinflussung der Aufenthaltsdauer. Verweigerung einer Wiederbeantragung der türkischen Staatsangehörigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Allein der Umstand, dass Grundleistungen der sozialen Sicherung (hier Analogleistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG statt Leistungen nach §§ 3ff AsylbLG) betroffen sind, genügt nicht, um generell einen Anordnungsgrund anzunehmen.

 

Orientierungssatz

Als rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer ist auch die Weigerung zu werten, eine gegebenenfalls verlorene türkische Staatsangehörigkeit wieder zu beantragen.

 

Normenkette

AsylbLG § 2 Abs. 1 S. 1, §§ 3-4, 6-7; AsylbLG Fassung 1977-08-05 § 1a; AsylbLG Fassung 1977-08-05 § 2 Abs. 1; Staatsangehörigkeitsgesetz Nr. 5901 (Türkei) Art. 11, 43; Staatsangehörigkeitsgesetz Nr. 403 (Türkei) Art. 25 Abs. ç; SGG § 86b Abs. 2 Sätze 2, 4, § 193 Abs. 1 S. 1, Abs. 4; ZPO § 920 Abs. 2

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 1. August 2019 (Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung) wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

 

Gründe

1. Die nach § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers, mit der er bei sachgerechter Auslegung die Gewährung von sog. Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) ab dem 25. Juni 2019 (Antragseingang beim Sozialgericht Stuttgart [SG]) anstelle von Leistungen nach §§ 3 ff. AsylbLG begehrt, ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere statthaft (§ 172 SGG).

2. Die Beschwerde des Antragstellers ist aber unbegründet. Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt.

a) Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist Voraussetzung, dass ein dem Antragsteller zustehendes Recht oder rechtlich geschütztes Interesse vorliegen muss (Anordnungsanspruch), das ohne Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes vereitelt oder wesentlich erschwert würde, so dass dem Antragsteller schwere, unzumutbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund müssen glaubhaft gemacht sein (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Glaubhaftmachung liegt vor, wenn das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrunds überwiegend wahrscheinlich sind. Dabei haben sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache zu orientieren (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 13. April 2010 – 1 BvR 216/07 – juris Rdnr. 64; BVerfG, Beschluss vom 6. August 2014 – 1 BvR 1453/12 – juris Rdnr. 9). Eine Folgenabwägung ist nur ausnahmsweise zulässig, wenn eine Prüfung der materiellen Rechtslage nicht möglich ist (BVerfG, Beschluss vom 14. September 2016 – 1 BvR 1335/13 – juris Rdnr. 20; Beschluss des Senats vom 31. Juli 2017 – L 7 SO 2557/17 ER-B – juris Rdnr. 21; Beschluss des Senats vom 22. Dezember 2017 – L 7 SO 4253/17 ER-B – juris Rdnr. 3; Beschluss des Senats vom 3. Dezember 2018 – L 7 SO 4027/18 ER-B – juris Rdnr. 19; Beschluss des Senats vom 14. März 2019 – L 7 AS 634/19 ER-B – juris Rdnr. 3; Beschluss des Senats vom 30. Juli 2019 – L 7 SO 2356/19 ER-B – juris Rdnr. 8).

Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht isoliert nebeneinander; es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung der Art, dass die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt (Beschluss des Senats vom 31. Juli 2017 – L 7 SO 2557/17 ER-B – juris Rdnr. 22; Beschluss des Senats vom 22. Dezember 2017 – L 7 SO 4253/17 ER-B – juris Rdnr. 4; Beschluss des Senats vom 3. Dezember 2018 – L 7 SO 4027/18 ER-B – juris Rdnr. 20; Beschluss des Senats vom 14. März 2019 – L 7 AS 634/19 ER-B – juris Rdnr. 4; Beschluss des Senats vom 30. Juli 2019 – L 7 SO 2356/19 ER-B – juris Rdnr. 9; vgl. Beschluss des Senats vom 29. Januar 2007 – L 7 SO 5672/06 ER-B – juris Rdnr. 2; Landessozialgericht [LSG] Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. November 2013 – L 15 AS 365/13 B ER – juris Rdnr. 18). Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzul...

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