Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Vorverfahren. Einbeziehung eines Folgebescheids nach § 86 SGG auch bei vollständiger Ersetzung des Ausgangsbescheids

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Folge-Verwaltungsakt wird auch dann gemäß § 86 SGG Gegenstand des Vorverfahrens, wenn er den angefochtenen Verwaltungsakt während des Vorverfahrens vollständig ersetzt und nicht nur abändert.

 

Normenkette

SGG §§ 86, 73a Abs. 1; SGB X § 39 Abs. 2; ZPO § 114 S. 1

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 9. Dezember 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg.

Die Beschwerde ist statthaft, da ein Ausschlusstatbestand des § 172 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht einschlägig ist. Sie ist auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht Stuttgart (SG) hat zu Recht die hinreichende Erfolgsaussicht für die gegen den Ersetzungsbescheid vom 19. Juni 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Juli 2012 gerichtete Anfechtungsklage verneint und die Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.

Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Ist - wie in den Tatsacheninstanzen der Sozialgerichtsbarkeit - eine Vertretung durch Rechtsanwälte nicht vorgeschrieben, wird auf Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt beigeordnet, wenn diese Vertretung erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist (§ 121 Abs. 2 ZPO). Bei der Prüfung der Erfolgsaussicht ist zu berücksichtigen, dass die Anwendung des § 114 ZPO dem aus Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz abzuleitenden verfassungsrechtlichen Gebot entsprechen soll, die Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes weitgehend anzugleichen. Daher dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überspannt werden; hinreichende Erfolgsaussicht ist z. B. zu bejahen, wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil der die Prozesskostenhilfe begehrenden Partei ausgehen wird (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 29. September 2004 - 1 BvR 1281/04, Beschluss vom 14. April 2003 - 1 BvR 1998/02 und Beschluss vom 12. Januar 1993 - 2 BvR 1584/92 - alle veröffentlicht in Juris; Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 17. Februar 1998 - B 13 RJ 83/97 - Juris; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 73a Rdnr. 7a m.w.N.) Wirft der Rechtsstreit eine Rechtsfrage auf, die in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt, aber klärungsbedürftig ist, liegt hinreichende Erfolgsaussicht ebenfalls vor; in diesem Fall muss PKH bewilligt werden (Leitherer, a.a.O., § 73a Rdnr. 7b unter Hinweis auf die Rspr. des BVerfG).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe bestehen keine hinreichenden Erfolgsaussichten für die Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 19. Juni 2012 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 30. Juli 2012, mit dem der Bescheid vom 24. Januar 2012 ersetzt, die Bescheide vom 11. Mai 2010 und 26. August 2010 und die Leistungsbewilligung für die Zeit vom 12. Oktober 2010 bis 30. November 2010 aufgehoben und die Erstattung eines Betrags in Höhe von 850,95 € gefordert worden ist. Die Klage ist nicht begründet.

Nachdem die Bekanntgabe an den Bevollmächtigten gemäß § 37 Abs. 1 Satz 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) im Ermessen der Behörde steht und der Kläger den Bescheid vom 19. Juni 2012 erhalten hat, bestehen an der Wirksamkeit dessen Bekanntgabe keine Zweifel.

Der Beklagte hat den Widerspruch des Klägers vom 23. Juli 2012 gegen den Bescheid des Beklagten vom 19. Juni 2012 zu Recht mit Widerspruchsbescheid vom 30. Juli 2012 (Az. W 1776/12) als unzulässig zurückgewiesen. Der Bescheid vom 19. Juni 2012 ist gemäß § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens (Az. W 613/12) gegen den Bescheid vom 24. Januar 2012/7. Februar 2012 geworden.

Nach Überzeugung des Senats wird ein Folge-Verwaltungsakt auch dann gemäß § 86 SGG Gegenstand des Vorverfahrens, wenn er den angefochtenen Verwaltungsakt während des Vorverfahrens vollständig ersetzt und nicht nur teilweise abändert. Trotz des unterschiedlichen Wortlauts von § 96 SGG ("abändert oder ersetzt") und § 86 SGG ("abgeändert") ist insoweit von identischen Tatbestandsvoraussetzungen auszugehen Sinn und Zweck des § 86 SGG ist es, eine umfassende Erledigung des Streitstoffs in einem Widerspruchsverfahren unter Einbeziehung aller Folgebescheide zu erreichen; ...

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