Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Vermögenseinsatz. sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts. Kenntnis von der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts. fehlende Ermessensausübung. Ermessensreduzierung auf Null
Orientierungssatz
1. Kommt das Bewusstsein der Behörde, Ermessen ausüben zu müssen und zu dürfen, in einem Rücknahmebescheid nach § 45 SGB 10 nicht zum Ausdruck, liegt ein Ermessensausfall vor.
2. Ein solcher Ermessensausfall führt jedoch dann ausnahmsweise nicht zur Rechtswidrigkeit des Bescheides, wenn auch bei Ausübung von Ermessen jeder Verwaltungsakt mit einem anderen Regelungsgehalt rechtsfehlerhaft gewesen wäre (Ermessensreduzierung auf Null; vgl BSG vom 20.5.2014 - B 10 EG 2/14 R = SozR 4-7837 § 2 Nr 27 RdNr 29).
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 24. November 2015 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I. Der Rechtsstreit betrifft die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) für März bis Juni 2015 in Höhe von insgesamt 2.707,14 €.
Der Kläger ist 1965 geboren. Er bezog seit mehreren Jahren Leistungen der Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII.
Am 20. Mai 2014 gab der Kläger gegenüber dem Beklagten eine Vermögenserklärung ab, laut der er über Barvermögen in Höhe von ca. 400,00 € sowie über drei Bankkonten, hierauf aber lediglich über Geldmittel in Höhe von 2,00 €, verfüge. Der Beklagte bewilligte ihm daraufhin Leistungen für Januar 2014 bis Juni 2015, unter anderem ab 1. September 2014 bis zum 30. Juni 2015 Leistungen in Höhe von monatlich 887,53 € (Änderungs-/Weiterbewilligungsbescheid vom 11. Juni 2014). Mit Bescheid (“Mitteilung über die Änderung von laufenden Leistungen„) vom 9. Dezember 2014 berechnete der Beklagte die Leistungen wegen der Anpassung der Regelsätze und der davon abhängigen Beträge neu. Beigefügt war ein Berechnungsbogen für Januar 2015 mit einer gewährten Leistung in Höhe von 895,53 €.
Mit Änderungsbescheid vom 8. Januar 2015 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen in Höhe 902,38 € monatlich für die Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 2015 und hob alle vorhergehenden Bescheide über die Gewährung von Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII auf, soweit sie sich auf gleiche Zeiträume beziehen.
Am 8. Januar 2015 erfolgte auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft B. in einem gegen den Kläger geführten Ermittlungsverfahren (XX) eine polizeiliche Durchsuchung der Wohnung des Klägers.
Mit Schreiben vom 26. Januar 2015 teilte Polizeikommissar S. vom Polizeipräsidium O. (Polizeirevier R.) dem Beklagten mit, dass die Wohnung des Klägers durchsucht worden sei. Bei der Durchsuchung sei unter einem Stapel von Kleidern und sonstigen Gegenständen Bargeld in Höhe von 11.400,00 € aufgefunden worden. Das Bargeld sei dem Kläger belassen worden. Auf telefonische Rückfrage des Beklagten teilte Polizeikommissar S. am 2. Februar 2015 mit, dass nicht bekannt sei, woher der Geldbetrag stamme bzw. seit wann der Kläger im Besitz dieses Geldes sei.
Mit Schreiben vom 29. Januar 2015 teilte der Beklagte dem Kläger mit, vom Polizeirevier R. die Mitteilung bekommen zu haben, dass in seiner Wohnung ein Bargeldbetrag in Höhe von 11.400,00 € gefunden worden sei. Zum vorrangig einzusetzenden Vermögen zähle auch Bargeld. Der Betrag von 11.400,00 € übersteige bei weitem die Vermögensfreigrenze von 2.600,00 €, so dass beabsichtigt sei, den Bewilligungsbescheid vom 11. Juni 2014 bzw. den Änderungsbescheid vom 8. Januar 2015 aufzuheben und gegebenenfalls zu Unrecht bezogene Leistungen zurückzufordern. In den vom Kläger eingereichten unterschriebenen Vermögenserklärungen sei dieses Barvermögen nicht angegeben worden. Der Beklagte bat insbesondere um Mitteilung, woher dieses Barvermögen stamme und seit wann der Kläger in Besitz dieses Barvermögens sei. Zugleich erhielt er Gelegenheit zur Äußerung.
Der Kläger äußerte sich daraufhin mit bei dem Beklagten am 4. Februar 2015 eingegangenem Schreiben, dass er keine 11.400,00 € gehabt habe. Er habe für den Notfall 1.400,00 € in Scheinen gespart. Ein Zettel mit der Aufschrift “114000 EU„ (sic!) habe mit dem Geld in der Kaffeebox gelegen. Die Polizeibeamten hätten sich nicht die Mühe gemacht, das Geld zu zählen. Die Beamten seien schlecht auf ihn zu sprechen gewesen und hätten es nicht gerne gesehen, dass er Bargeld besitze. Er habe keine Schwarzarbeit geleistet oder Lohn bekommen.
Auf Anfrage des Beklagten übersandt das Polizeirevier R. einen Vermerk des Zeugen Polizeioberkommissars K. vom 11. Februar 2015, worin dieser ausführt, dass er zusammen mit dem Zeugen Polizeiobermeister D. die Durchsuchung beim Kläger durchgeführt habe. Unter einem Stapel Kartons habe er in einer Blechbüchse einen Umschlag mit der Aufschrift ...