Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch des gehbehinderten Versicherten auf Versorgung mit einem fremdkraftbetriebenen Bewegungstrainer

 

Orientierungssatz

1. Ein an einer bilateralen spastischen Zerebralparese leidender Versicherter hat gemäß § 27 Abs. 1 SGB 5 Anspruch auf Krankenbehandlung, die nach S. 2 Nr. 3 auch die Versorgung mit Hilfsmitteln i. S. von § 33 SGB 5 umfasst. Dies dient dem Versorgungsziel der Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung.

2. Ein Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 135 SGB 5 zum Einsatz eines motorisierten Steh- und Gehtrainers des Herstellers X liegt bisher nicht vor. Das mit diesem Gerät verfolgte Konzept besteht in einer Kombination der unterstützten Vertikalisierung und des fremdkraftbetriebenen Beintrainings.

3. Das fremdkraftbetriebene Beintraining ist keine neue Behandlungsmethode mehr. Im Hilfsmittelverzeichnis sind unter Produktgruppe 32 (therapeutische Bewegungsgeräte) fremdkraftbetriebene Beintrainer gelistet.

4. Der Beintrainer des Herstellers X entspricht dem medizinischen Standard fremdkraftbetriebenen Beintrainings. Damit stellt es ein geeignetes und wirtschaftliches Hilfsmittel i. S. der §§ 12, 33 SGB 5 dar und zählt zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Ulm vom 8. Februar 2019 abgeändert und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragsteller bis zum Abschluss des Klageverfahrens S 10 KR 4052/18, längstens jedoch bis zum 31. Januar 2020 mit einem Bewegungstrainer ... der Marke ... vorläufig zu versorgen.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin erstattet dem Antragsteller dessen außergerichtliche Kosten in beiden Rechtszügen.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Versorgung mit dem Bewegungstrainer "... medium" der Firma ... GmbH.

Bei dem am ... 2002 geborenen, bei der Antragsgegnerin versicherten Antragsteller besteht bilaterale spastische Zerebralparese mit dystonem Bewegungsmuster entsprechend dem Schweregrad GMFCS V, eine begleitende expressive dysarthrische Sprachstörung und eine leichte Intelligenzminderung im Grenzbereich zwischen Lernbehinderung und leichter geistiger Behinderung nach hypoxischer Hirnschädigung im Alter von acht Monaten. Aufgrund der Bewegungsstörung liegen Kniebeugekontrakturen beidseits, eine Fußfehlstellung im Sinne schwererer Knick-Senk-Spreiz-Füße beidseits, eine Fehlhaltung der Wirbelsäule sowie eine Hüftdysplasie links mit Minderüberdachung des Femurkopfes vor. Infolgedessen ist der Antragsteller selbständig weder geh- noch stehfähig; auch ein stabiles Sitzen ist selbständig nicht möglich.

Am 13. November 2015 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin unter Vorlage einer ärztlichen Verordnung des Kinder- und Jugendarztes ... vom 23. Oktober 2015 (Diagnose: Tetraplegie) und eines Kostenvoranschlags in Höhe von € 8.383,55 (Jahresmiete zuzüglich Anpassungs- und Dokumentenpauschale) die Versorgung mit einem sog. ... als Hilfsmittel. Bei diesem handelt es sich um einen motorisierten Steh- und Gehtrainer.

In einer Stellungnahme des Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK), über dessen Einschaltung die Antragsgegnerin den Antragsteller unter dem 16. November 2015 unterrichtete, kam ... am 18. November 2015 zu der Einschätzung, die Versorgung mit einem Stehständer sei ausreichend; ein Vorteil gegenüber anderen fremdkraftbetriebenen Bewegungsgeräten bestehe bei dem begehrten Hilfsmittel nicht. Hierauf gestützt lehnte die Antragsgegnerin den Antrag mit Bescheid vom 25. November 2015 ab.

Auf den Widerspruch des Antragstellers, zu dessen Begründung dieser u.a. den Arztbrief der Fachärztin für Orthopädie ..., Abteilung Kinderorthopädie eines Krankenhauses, vom 10. Januar 2017 vorlegte, holte die Antragsgegnerin weitere sozialmedizinische Gutachten des MDK ein. ... führte unter dem 19. April 2016 aus, die Stehposition helfe die Zunahmen von Kontrakturen und Deformitäten zu verhindern und den Muskeltonus zu regulieren. Allgemein dienten alle Vertikalisierungsmaßnahmen der achsgerechten Belastung, Förderung der Atmung und Verdauung, der Osteoporose- und Pneumonieprophylaxe, dem Kreislauftraining und bei Kindern der Entwicklungsförderung. Der ... führe zusätzlich zu den Funktionen des Stehständers passiv simulierte Schreitbewegungen durch. Eine Überlegenheit gegenüber physikalischen Maßnahmen wie z.B. Krankengymnastik sei wissenschaftlich nicht belegt. Ein Stehständer, gegebenenfalls mit Rollen, sei ausreichend. ... führte im Gutachten vom 26. September 2016 aus, mit dem Bewegungstrainer könne die Behinderung nicht ausgeglichen werden. Es werde hierbei eine passive Gehbewegung angestrebt, das Gehen als solches könne nicht erfolgen. Im Vordergrund stehe das Ziel der Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung. Zum unstrittig sinnvollen Stehtraining sei jedoch eine Versorgung mit einem Stehständer möglich. Zur passiven/a...

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