Entscheidungsstichwort (Thema)

Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Schwerhörigkeit. digitales Hörgerät. zuständiger Leistungsträger. Kostenerstattungsanspruch für selbstbeschaffte Teilhabeleistungen. Hilfsmittel zum Ausgleich eines behinderungsbedingten Nachteils. Auslegung von Anträgen auf Leistungen der Rehabilitation. probeweise Überlassung eines Hörgerätes ist Auswahlentscheidung. keine Festbetragsfestsetzung bei einem Hörverlust von beidseits fast 100 vH -

 

Leitsatz (amtlich)

Zum zuständigen Rehabilitationsträger (hier die Krankenkasse, nicht der in erster Instanz verurteilte Rentenversicherungsträger) und zur Versorgung mit Hörgeräten bei einem Versicherten mit einem Hörverlust von beidseits 100 vH.

 

Orientierungssatz

1. § 15 Abs 1 SGB 9 normiert trägerübergreifend Kostenerstattungsansprüche für selbstbeschaffte Teilhabeleistungen und ist damit auch im Bereich der Rentenversicherung anwendbar (vgl BSG vom 20.10.2009 - B 5 R 5/07 R = SozR 4-3250 § 14 Nr 8).

2. § 33 Abs 8 S 1 Nr 4 SGB 9 umfasst in Abgrenzung zu § 33 SGB 5 und § 31 SGB 9 nur solche Hilfsmittel, die zum Ausgleich eines behinderungsbedingten Nachteils für eine bestimmte Berufsausübung erforderlich sind und nicht (wie zB Hörhilfen) generell zur Verbesserung einer körperlichen Funktion benötigt werden oder im Sinne eines Basisausgleichs einer Behinderung für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben (§ 55 Abs 2 Nr 1 SGB 9) überhaupt (vgl BSG vom 21.8.2008 - B 13 R 33/07 R = SozR 4-3250 § 14 Nr 7 = BSGE 101, 207).

3. Ein Antrag auf Leistungen der Rehabilitation, jedenfalls soweit es die Versorgung von Hilfsmitteln betrifft, kann nicht allgemein dahin ausgelegt werden, er erfasse jegliches in Betracht kommende Hilfsmittel, im Fall von Hörgeräten, mithin alle auf dem Markt befindlichen Hörgeräte oder möglicherweise nach der Antragstellung erst auf den Markt kommende Hörgeräte. Werden aber gegenüber einem Leistungsträger ausdrücklich konkrete Hörgeräte als die für die Versorgung geeigneten und somit für die Versorgung in Betracht kommend benannt, begrenzt der Versicherte seinen Leistungsantrag auf diese Hörgeräte.

4. Die probeweise Überlassung eines Hörgerätes ist eine Auswahlentscheidung (vgl BSG vom 17.12.2009 - B 3 KR 20/08 R = SozR 4-2500 § 36 Nr 2 = BSGE 105, 170).

5. Zur Versorgung von Versicherten mit einem Hörverlust von beidseits fast 100 vH war die Festbetragsfestsetzung für Hörgeräte im Jahr 2004 im Land Baden-Württemberg nicht ausreichend (vgl BSG vom 17.12.2009 - B 3 KR 20/08 R aaO). Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass sich hieran im Dezember 2007 (Zeitpunkt der Versorgung des Klägers mit den Hörgeräten Siemens Artis P e2e) etwas geändert hat.

 

Tenor

Auf die Berufung der Beigeladenen wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 9. November 2010 aufgehoben.

Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheids vom 11. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. Oktober 2008 verurteilt, dem Kläger € 2.463,00 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger Anspruch auf Erstattung der Kosten von € 2.553,00 für die selbstbeschafften Hörgeräte Siemens Artis P e2e hat.

Der 1964 geborene Kläger ist versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten. Er absolvierte zunächst von 1983 bis 1986 eine Ausbildung als Vermessungstechniker, anschließend von 1986 bis 1988 als Industriekaufmann. Er ist als kaufmännischer Angestellter (Baurechnungsprüfer) bei einer Stadtwerke GmbH beschäftigt. Wegen einer bestehenden Schwerhörigkeit nutzt er seit 1996 Hörgeräte, wobei er diese kaufte, ohne die Kosten bei Leistungsträgern der Sozialversicherung geltend zu machen.

Hals-Nasen-Ohren-Arzt Dr. S. verordnete am 22. März 2007 wegen einer Schallempfindungsschwerhörigkeit Hörhilfen beidseits. In seiner ärztlichen Bescheinigung vom selben Tag führte er aus, der Kläger sei in einem kommunikativ anspruchsvollen Beruf mit regelmäßigem Kundenkontakt, Konferenzsituationen und regelmäßigen Telefonkontakten. Durch die alleinige Versorgung mit von der gesetzlichen Krankenversicherung erstatteten Hörgeräten seien die Kommunikationssituationen nicht zu bewältigen. Zur Abwendung von Erwerbsunfähigkeit seien höherwertige Hörgeräte zwingend erforderlich.

Die Firma Hörgeräte I. GmbH & Co. KG (im Folgenden I-KG) erstellte unter dem 21. März 2007 drei Kostenvoranschläge über

- zwei Hörgeräte CENTRA S zum Preis von jeweils € 2.390,00 sowie zusätzlichen Leistungen mit einem Gesamtbetrag von € 5.563,82, abzüglich eines Betrags der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung in Höhe von € 1.192,82 mit einem Betrag von € 4.371,00,

- zwei Hörgeräte (Phonak) MicroSavia 100 dsZ zum Preis von jeweils € 2.250,00 sowie zusätzlicher Leistungen mit einem Gesamtbetrag von € 5.154,82, abzüglich eines Betrags der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung in Höhe von € 1.192,82 mit einem Betrag von € 3.962,00 und

- zwei Hörgerä...

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