Entscheidungsstichwort (Thema)
Altersrente für schwerbehinderte Menschen. Schutzfrist des § 116 Abs 1 SGB 9. Wirkung im Hinblick auf die gesetzliche Rentenversicherung
Leitsatz (amtlich)
Bei einer Herabsetzung des Grades der Behinderung stand bis zum Ablauf der Schonfrist des § 38 Abs 1 Halbs 2 SchwbG (in der vom 1.8.1986 bis 30.6.2001 geltenden Fassung) der gesetzliche Schutz Schwerbehinderter auch im Hinblick auf die gesetzliche Rentenversicherung zu.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 25. März 2009 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, den Bescheid vom 29. April 2008 abzuändern und der Klägerin Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab 01. Mai 2008 unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0 zu zahlen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klägerin beanspruchen kann, die ihr seit dem 01. Mai 2008 gewährte Altersrente für schwerbehinderte Menschen abschlagsfrei - d.h. mit Zugangsfaktor 1,0 statt 0,892 - bewilligt zu erhalten.
Bei der am 1948 geborenen Klägerin wurde wegen eines am 08. Juli 1994 operierten Mammakarzinoms mit Bescheid des Versorgungsamts H. vom 18. November 1994 als Behinderung “Entfernung einer Brustdrüsengeschwulst links„ mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 festgestellt. Mit Bescheid vom 17. Juli 2000 stellte das Versorgungsamt H. wegen Ablaufs der Heilungsbewährung nur noch den “Teilverlust der linken Brust„ mit einem GdB von weniger als 20 ab 20. Juli 2000 fest. Im Bescheid vom 17. Juli 2000 hieß es, dass ein Ausweis als Nachweis der Schwerbehinderteneigenschaft nur noch bis zum Ablauf des Schwerbehindertenschutzes (§ 38 Schwerbehindertengesetz - SchwbG -), das sei bis Ende November 2000, zustehe. Auch auf dem Schwerbehindertenausweis befand sich der Vermerk, dass der GdB ab 20. Juli 2000 weniger als 20 betrage und dass der Schwerbehindertenschutz Ende November 2000 ablaufe. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig. Mit Bescheid vom 18. Februar 2003 hob das Versorgungsamt H. den Bescheid vom 17. Juli 2000 auf und stellte wieder einen GdB von 50 seit 19. November 2002 fest. Ein nach § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB X) von der Klägerin im Juli 2004 eingeleitetes Überprüfungsverfahren wegen des Bescheids vom 17. Juli 2000 war erfolglos (Bescheid vom 25. August 2004, Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 2004, Urteil des Sozialgerichts Heilbronn ≪SG≫ vom 02. Februar 2005 - S 2 SB 3281/04 - und Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg ≪LSG≫ vom 12. Juli 2006 - L 6 SB 1915/05 -).
Bereits im Rahmen einer der Klägerin unter dem 31. März 2003 erteilten Rentenauskunft, in der es u.a. hieß, dass die Klägerin bei einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen keinen Rentenabschlag bei einem Rentenbeginn ab 01. Mai 2011 hinnehmen müsse und dass sie diese Rente mit Abschlag frühestens ab 01. Mai 2008 beanspruchen könne, machte die Klägerin geltend, dass bei ihr die Vertrauensschutzregelung im Hinblick auf die Altersrente für schwerbehinderte Menschen eingreife. Ihr Schwerbehindertenschutz sei erst Ende November 2000 abgelaufen. Zur Unterstützung ihres Begehrens legte sie ein an sie gerichtetes Schreiben des Versorgungsamts Heilbronn vom 31. Juli 2003 vor, in dem ihr das Versorgungsamt mitteilte, dass bisher schwerbehinderte Menschen unstreitig bis zur Unanfechtbarkeit des Entziehungsbescheides und darüber hinaus bis zum Ablauf der sich anschließenden Nachwirkungszeit alle Rechte und Pflichten besäßen, die sich aus dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) ergäben. Nach Auffassung von Cramer, Kommentar zum Schwerbehindertengesetz, 5. Aufl. 1998, § 38 Rdnr. 2a gelte dies auch für Behörden oder Sozialleistungsträger, die über Rechte außerhalb des SGB IX entschieden. In ihrem Fall habe der Schwerbehindertenschutz - und damit der Status einer Schwerbehinderten - nach § 116 SGB IX (früher § 38 SchwbG) bis einschließlich 30. November 2000 bestanden.
Mit Schreiben vom 11. August 2003 führte die Beklagte aus, dass § 236a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) bestimme, wann Vertrauensschutz vorliege. Dies sei der Fall, wenn der Versicherte bis einschließlich 16. November 1950 geboren und am 16. November 2000 schwerbehindert im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB IX gewesen sei. Die Schwerbehinderteneigenschaft liege kraft Gesetzes zu dem Zeitpunkt vor, in dem ein GdB von wenigstens 50 vorliege. Sie gelte bis zum Eintritt der Bindewirkung eines die Schwerbehinderung aufhebenden Bescheides. Die Schutzfrist von drei Monaten des § 116 SGB IX sei dabei unbeachtlich. Der Aufhebungsbescheid über einen GdB von 50 sei am 17. Juli 2000 erteilt worden, d.h. der Bescheid sei vor dem Stichtag 16. November 2000 bindend geworden. Damit habe am 16. November 2000 keine Schwerbehinderteneigenschaft im Sinne des § 236a SGB VI vorgelegen. Die Vertrauensschutzregelung finde a...