Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Rechtswidrigkeit eines Eingliederungsverwaltungsakts. Wohnungslosigkeit. Verpflichtung zur Wohnungssuche. Verletzung des Selbstbestimmungsrechts
Leitsatz (amtlich)
1. Eine leistungsberechtigte Person darf in einem Eingliederungsverwaltungsakt nicht ohne Weiteres zu Bemühungen zur Wohnungssuche verpflichtet werden. Selbst wenn die Vermittlungschancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von Arbeitnehmern mit festem Wohnsitz besser sein mögen als bei obdachlosen Menschen und das Suchen einer Wohnung daher mittelbar der Eingliederung in Arbeit förderlich ist, so fehlt für eine solche Verpflichtung das erforderliche unmittelbar arbeitsmarktbezogene Moment.
2. Je weiter sich der Leistungsträger bei den festgelegten Eigenbemühungen vom Kernbereich der Arbeitseingliederung entfernt, desto mehr hat er das grundrechtlich geschützte Selbstbestimmungsrecht des Leistungsberechtigten (Art 2 Abs 1 iVm Art 1 Abs 1 Grundgesetz) zu beachten.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 17. Juni 2015 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Bescheid des Beklagten vom 4. Februar 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. März 2015 rechtswidrig gewesen ist.
Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Instanzen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsaktes (im Folgenden: Eingliederungsverwaltungsakt).
Der 1955 geborene Kläger ist seit einigen Jahren ohne festen Wohnsitz. Seit Februar 2015 hält er sich in R. auf und bezieht seitdem Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) von dem Beklagten. Nach eigenen Angaben nutzt er seit vielen Jahren überwiegend Autos als Schlafstätte, und zwar bis Januar 2015 einen VW Pritschenwagen sowie ab März 2015 einen Volvo Kombi. Seinen Hausrat lagert er in einem gemieteten Kellerraum in R. ein, den er im Februar 2015 überdies als “Notquartier„ nutzte. Die Aufwendungen für den Kellerraum in Höhe von 68,- € werden von dem Beklagten als Kosten der Unterkunft anerkannt. In der Vergangenheit machte der Kläger außerdem die ihm durch die Nutzung seines Kraftfahrzeuges (Kfz) entstandenen Aufwendungen für Steuer, Haftpflichtversicherung sowie Heizkosten als Bedarfe für Unterkunft und Heizung vor dem Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg für die Zeit von Januar bis Juni 2014 gerichtlich geltend (L 9 AS 5116/15). Mit Urteil vom 10.05.2016 entschied der Senat, dass das vom Kläger benutzte Kfz keine Unterkunft im Sinne von § 22 SGB II darstelle und die Kosten hierfür nicht vom damals zuständigen Leistungsträger zu übernehmen seien.
Aus einem Aktenvermerk des Beklagten vom 04.02.2015 ergibt sich, dass der Kläger an diesem Tag ein persönliches Gespräch mit einer Mitarbeiterin des Beklagten geführt und dabei signalisiert habe, keine Eingliederungsvereinbarung zu unterschreiben und gegen einen Eingliederungsverwaltungsakt gerichtlich vorzugehen.
Daraufhin erließ der Beklagte am selben Tag einen Eingliederungsverwaltungsakt für den Zeitraum vom 04.02.2015 bis 03.08.2015. Darin ist folgendes geregelt:
“Ziel(e)
Wohnungssituation klären
1. Unterstützung durch [Beklagten]:
Wir stellen Kontakt zur Stadt R. und [zu] Notunterkünfte[n] her.
2. Bemühungen von [Kläger]:
Sie suchen aktiv nach einer Wohnung, dazu besorgen Sie sich einen Wohnberatungsschein beim Bürgerbüro R., Stadt R.
Sie können Kontakt zu Herrn […] bei der Stadt R. […] hinsichtlich [einer] Notunterkunft aufnehmen. Die Kontaktdaten werden Ihnen ausgehändigt.„
Den Regelungen schloss sich eine Rechtsfolgenbelehrung an.
Am 10.02.2015 legte der Kläger gegen den Verwaltungsakt vom 04.02.2015 Widerspruch ein, den er unter Hinweis auf die Amtsermittlungspflicht des Beklagten ausdrücklich nicht begründete.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26.03.2015 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück und führte zur Begründung aus, die Eingliederungsvereinbarung sei als Verwaltungsakt zu erlassen gewesen, da der Kläger bei seiner persönlichen Vorsprache bei der Arbeitsvermittlung am 04.02.2015 mitgeteilt habe, dass er eine Unterschrift ablehne und somit eine Vereinbarung nicht zustande gekommen sei. Bei der Eingliederungsvereinbarung seien seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse berücksichtigt worden. Daher seien die Verpflichtungen auf ein zumutbares und minimales Maß festgesetzt worden. Insbesondere sei der Fokus zunächst ausschließlich auf die Beendigung der Wohnsitzlosigkeit gelegt worden. Eigenbemühungen oder die Beendigung der Hilfebedürftigkeit durch Aufnahme einer Beschäftigung seien nicht verlangt worden. Die dem Kläger aufgegebenen Pflichten seien zumutbar, erforderlich und geeignet, um die Hilfebedürftigkeit längerfristig durch die Aufnahme einer Beschäftigung zu verringern oder zu beenden. Dabei sei es durchaus zulässig, zunächst die soziale Integration als vorgeschalteten erst...