Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit der Unterlassungsklage. qualifiziertes Rechtsschutzinteresse. Begründetheit eines öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruchs. Befugnis der Sozialgerichte zur Auslegung von Verträgen
Orientierungssatz
1. Maßgebliches Kriterium für das Bestehen eines qualifizierten Rechtsschutzinteresses ist die Befürchtung eines erneuten, als widerrechtlich beurteilten Vorgehens der Gegenseite (vgl BSG vom 15.11.1995 - 6 RKa 17/95).
2. Voraussetzung für die Begründetheit eines öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruchs ist zum einen eine durch öffentlich-rechtliche Vorschriften begründete und im Verhältnis zu anderen Rechtsträgern geschützte Rechtsposition, zum anderen das Drohen eines Eingriffs in diese Position (vgl BSG vom 15.11.1995 aaO).
3. Aufgabe der Sozialgerichte ist die Gewährung von Rechtsschutz. Dazu gehört die Prüfung und Entscheidung, ob jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt ist (Art 19 Abs 4 S 1 GG). Im Einzelfall kann dies dazu führen, dass eine untergesetzliche Norm wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht für unwirksam erklärt wird (sog Incidenter-Prüfung). Die Gerichte sind aber keine Vertragsorgane, die dazu befugt sind, unabhängig von einem Eingriff in ein subjektiv-öffentliches Recht Verträge zwischen Beteiligten verbindlich oder gar ergänzend auszulegen, um bestehende Meinungsverschiedenheiten auszuräumen und vertragliche Inhalte verbindlich zu regeln.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 13. Dezember 2006 aufgehoben und die Klagen werden insgesamt abgewiesen.
Die Kosten des Klage- und Berufungsverfahrens tragen die Kläger als Gesamtschuldner.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert für das Klage- und Berufungsverfahren wird auf je 10.000,- € festgesetzt.
Tatbestand
Die Kläger verfolgen das Ziel, es der Beklagten gerichtlich zu untersagen, zum einen die Abgabe und Abrechnung vertragsärztlich verordneter physiotherapeutischer Heilmittel von einer vorherigen Prüfung dieser Verordnung durch den Leistungserbringer abhängig zu machen, zum anderen zu behaupten, dass vertragsärztliche Verordnungen physiotherapeutischer Heilmittel einer Überprüfung durch den Leistungserbringer bedürfen.
Der Kläger zu 1 ist ein im Vereinsregister des Amtsgerichts Stuttgart eingetragener Verein mit Sitz in S. Er vertritt als einer von mehreren Berufsverbänden die Interessen von Physiotherapeuten und ist als Landesverband für Baden-Württemberg Mitglied im Deutschen Verband für Physiotherapie - Zentralverband der Krankengymnasten/Physiotherapeuten (ZVK) e. V. Er ist - zusammen mit weiteren Berufsverbänden - Vertragspartner des auf der Grundlage des § 125 Abs. 2 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) mit den baden-württembergischen Landesverbänden der Krankenkassen geschlossenen Rahmenvertrages nach § 125 Abs. 2 SGB V (RV) vom 1. Dezember 2002 (Bl 19/84 der Akte S 10 KR 6018/05). In § 20 RV ist vereinbart, dass u. a. zur Klärung von Meinungsverschiedenheiten und Zweifelsfragen von grundsätzlicher Bedeutung, die auf örtlicher Ebene oder zwischen den berührten Landesverbänden nicht bereinigt werden können, ein Vertragsausschuss zu bilden ist, der auf Antrag eines Vertragspartners einzuberufen ist. Dieser Vertragsausschuss wurde in Bezug auf die hier streitigen Fragen bislang nicht einberufen.
Die Klägerin zu 2 ist aufgrund einer Zulassung nach § 124 SGB V berechtigt, als Physiotherapeutin Leistungen der Physikalischen Therapie an gesetzlich Krankenversicherte der Beklagten abzugeben. Sie ist Mitglied des Klägers zu 1.
Die Beklagte hat zu Beginn des Jahres 2005 eine Prüfliste für Leistungserbringer erstellt, um die - ihrer Ansicht nach - Vielzahl unvollständiger und fehlerhafter Verordnungen im Sinne einer Qualitätsverbesserung bei der Versorgung der Versicherten zu verbessern. Diese insgesamt 26 Punkte umfassende Liste "Rechnungsprüfung unvollständiger und inhaltlich fehlerhafter Heilmittelverordnungen sowie falscher Abrechnung" (Bl. 14 und 135 der Akte S 10 KR 6018/05 - im Folgenden als Prüfliste bezeichnet) war Gegenstand eines umfangreichen Schriftwechsels und zahlreicher Gespräche zwischen der Beklagten und unter anderem dem Kläger zu 1. Die Beklagte brachte hierbei zum Ausdruck, dass ihrer Auffassung nach physiotherapeutische Leistungserbringer verpflichtet sind, die ihnen vorgelegten vertragsärztlichen Verordnungen auf die in der Prüfliste aufgeführten "Fehler" zu überprüfen und diese "Fehler", gegebenenfalls nach Rücksprache mit dem verordnenden Vertragsarzt, zu beheben.
Nachdem die Beklagte mit Schreiben vom 4. Mai 2005 ihre Prüfliste an Abrechnungszentren übersandt hatte, wurden mit Schreiben vom 22. Juli 2005 von den durch die Klägerin zu 2 zur Bezahlung eingereichten Rechnungen von der Beklagten in insgesamt 14 Fällen Absetzungen mit einem Gesamtbetrag von 1.189,92 € vorgenommen. Die Absetzungen wurden damit begründet, dass die...