Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss bei längerer stationärer Unterbringung. Begriff der stationären Einrichtung. kein Leistungsausschluss bei Unterbringung eines erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in Obdachlosenheim gem §§ 67 ff SGB 12
Leitsatz (amtlich)
1. Eine stationäre Einrichtung iS von § 7 Abs 4 SGB 2 liegt dann vor, wenn die objektive Struktur der Einrichtung es nicht zulässt, dass ein Hilfebedürftiger 3 Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einer Erwerbstätigkeit nachgeht (Anschluss an BSG vom 6.9.2007 - B 14/7b AS 16/07 R = BSGE 99, 88 = BSGE 99, 88 = SozR 4-4200 § 7 Nr 7).
2. Ein Hilfebedürftiger, der im Rahmen von Leistungen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach §§ 67 ff SGB 12 vollstationär untergebracht ist, ist nicht in einer stationären Einrichtung iS von § 7 Abs 4 SGB 2 untergebracht, wenn er außer einem morgendlichen Zimmerrundgang keine verpflichtenden Termine in der Einrichtung einhalten muss.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 14. Oktober 2009 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Bescheid vom 5. Mai 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Juni 2008 aufgehoben wird.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Beigeladenen auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).
Der 1949 geborene Beigeladene ist nach einem Krankenhausaufenthalt seit 26. September 2007 in vollstationärer Betreuung auf dem D. untergebracht. Er erhält vom Kläger Leistungen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach §§ 67 ff. Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) in Form der Langzeithilfe nach Leistungstyp III 1.5. Die monatlichen Aufwendungen für die Unterbringung liegen zwischen ca. 1.300 € und 1.900 €. Ein vom Beigeladenen am 19. Dezember 2007 gestellter Antrag auf Erwerbsminderungsrente wurde von der Deutschen R. B.-W. abgelehnt (Bescheid vom 22. Januar 2008, Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 2008). Auf Antrag vom 13. Januar 2010 wurde dem Beigeladenen rückwirkend ab 1. November 2009 Altersrente für schwerbehinderte Menschen bewilligt. Die Rente mit einem Auszahlungsbetrag von 879,55 € monatlich wird vom Kläger vereinnahmt.
Nach Mitteilung des Klägers sprach der Beigeladene am 4. Februar und 4. März 2008 persönlich bei der Beklagten vor und beantragte Leistungen nach dem SGB II. Nachdem der Kläger die Beklagte aufgefordert hatte, den Leistungsantrag des Beigeladenen aufzunehmen und darüber zu entscheiden, teilte diese mit, dem Beigeladenen sei kein Antrag ausgehändigt worden, da er laut Bescheinigung des D. vollstationär untergebracht sei und somit kein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II bestehe. Mit Schreiben vom 3. April 2008 widersprach der Kläger dieser Ansicht und führte aus, der D. werde leistungsrechtlich nicht als Einrichtung i.S.d. SGB II gewertet. In der vollstationären Unterbringung bezögen ca. 10 Personen Leistungen nach dem SGB II.
Am 18. April 2008 stellte der Beigeladene einen förmlichen Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II, den die Beklagte mit Bescheid vom 5. Mai 2008 ablehnte.
Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, er könne gemäß § 95 SGB XII als erstattungsberechtigter Träger der Sozialhilfe die Feststellung von Sozialleistungen betreiben und Rechtsmittel einlegen. Neben Betreuungskosten fielen beim Kläger auch Aufwendungen zur Sicherung des Lebensunterhalts an. Der D. halte ein Hilfsangebot für Personen aus der Obdachlosigkeit mit Suchterkrankungen und sonstigen sozialen Problemen vor. Die Lebensführung und die Gesamtverantwortung für den Tagesablauf verblieben jedoch beim Hilfebedürftigen. Eine Einrichtung i.S.v. § 7 Abs. 4 SGB II liege nicht vor.
Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Juni 2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der D. sei eine Einrichtung mit verschiedenen Heimbereichen. Der Beigeladene sei vollstationär untergebracht i.S.v. § 7 Abs. 4 SGB II.
Mit seiner Klage vom 16. Juni 2008 zum Sozialgericht Konstanz (SG) macht der Kläger geltend, der D. sei keine Einrichtung i.S.v. § 7 Abs. 4 SGB II. Da das SGB II keine Legaldefinition des Begriffs der stationären Einrichtung enthalte, sei eine Auslegung nach Sinn und Zweck des SGB II vorzunehmen. Folglich liege eine stationäre Unterbringung vor, wenn auf Grund des Charakters, der Art, Struktur und Verfasstheit der Einrichtung von dieser aus einer Erwerbstätigkeit nicht nachgegangen werden könne. Eine Arbeitsaufnahme wäre vom D.aus möglich, wäre das Arbeitsplatzangebot in der Region besser. In Einrichtungen der Obdachlosenhilfe werde Hilfebedürftigen in unterschiedlichen Lebens- und Problemlagen Hilfe und Unterstützung angeboten. Beratungs- und Betreuungsangebote seien individuell. Es werde nicht die Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung übernommen.
Das SG hat im Erörterungstermin am 18. November...