Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziales Entschädigungsrecht. GdS-Feststellung. posttraumatische Belastungsstörung. kein schematischer Mindest-GdS von 30. keine Bindungswirkung des Beschluss des Sachverständigenbeirats "Versorgungsmedizin" beim BMAS vom 6./7.11.2008. Ungleichbewertung von PTBS im Unfallversicherungsrecht und im sozialen Entschädigungsrecht. Vorrang der Häftlingshilfe vor strafrechtlicher Rehabilitierung. sozialgerichtliches Verfahren. Antragsbindung. keine Einordnung in übliche Diagnoseschlüssel bei anerkannter Schädigungsfolge

 

Leitsatz (amtlich)

1. Sofern ein Kläger auf Grund einer anerkannten Schädigung nach dem OEG im Gerichtsverfahren lediglich Leistungen, aber nicht die Feststellung einer bestimmten gesundheitlichen Schädigung geltend macht, muss das Gericht nicht entscheiden, welche genaue diagnostische Bezeichnung die Schädigung hat. Dies gilt auch dann, wenn der Anerkennungsbescheid der Versorgungsverwaltung die Schädigung in allgemein gehaltener Weise beschreibt (hier: "psychovegetatives Syndrom"), die keiner nach der ICD-10 (juris: ICD-10-GM) oder dem DSM-IV TR (DSM 5) anerkannten Diagnose entspricht.

2. Eine posttraumatische Belastungsstörung (F43.1 nach der ICD-10 GM) führt nicht zwingend (mindestens) zu einem Grad der Schädigungsfolgen von 30. Der GdS ist auch hier nach den rechtlich bindenden Vorgaben der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zu bestimmen. Der Beschluss des Sachverständigenbeirats "Versorgungsmedizin" beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales vom 6./7. November 2008 entfaltet keine rechtliche Bindungswirkung.

3. Ein Verfolgter des DDR-Regimes, dem nach der Übersiedlung in die Bundesrepublik die Bescheinigung nach § 10 Abs 4 HHG erteilt worden ist und der außerdem wegen seiner Inhaftierung in der DDR noch nach dem RehabG-DDR (juris: RehabG) vom 6. September 1990 (GBl der DDR, S 1459) rehabilitiert worden ist, kann Versorgung nur nach dem HHG verlangen, nicht aber nach dem StrRehaG.

 

Orientierungssatz

Es ist kaum vorstellbar, dass eine psychische Erkrankung im allgemeinen Leben (PTBS im Rahmen einer GdS-Feststellung) eine höhere Bewertung erfährt als allein in Bezug auf das Erwerbsleben (PTBS im Rahmen einer MdE-Feststellung im Unfallversicherungsrecht mit regelmäßiger MdE von bis zu 30), zumindest wenn sie nicht zu einer schweren spezifischen Leistungsbeeinträchtigung in einem besonderen Segment des Arbeitsmarktes führt.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 10.07.2017; Aktenzeichen B 9 V 12/17 B)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 7. Mai 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt eine Beschädigtenrente auf Grund einer - als Schädigung anerkannten - Inhaftierung in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR).

Der Kläger ist 1948 in R. in Thüringen (zwischenzeitlich Bezirk G.) geboren und in der DDR aufgewachsen. Er wohnte später in Bad B.. Nach seinen späteren Angaben wurde sein Vater, der als selbstständiger Unternehmer tätig war, in den 1950-er Jahren enteignet und von den Behörden der DDR verfolgt. Der Kläger hat Ausbildungen zum Mechaniker und Werkzeugmacher und ein Studium zum Ingenieur, Fachrichtung wissenschaftlicher Gerätebau, absolviert. Aus seiner Berufstätigkeit als Ingenieur im VEB (Volkseigener Betrieb) Elektrogeräte B. ist der Kläger - nach eigenen Angaben aus politischen Gründen - 1975 entlassen worden. Danach war er als Schlosser tätig. Zuletzt arbeitete er als Betriebsingenieur im VEB Transportgummi B.. Er hatte mit 21 Jahren geheiratet und hat zwei - 1970 und 1977 geborene - Töchter.

Am 16. November 1988 verhafteten ihn die Behörden der DDR. Er verbrachte zunächst zweieinhalb Monate in Untersuchungshaft in einem Gefängnis des Ministeriums für Staatssicherheit in G.. Am 6. Februar 1989 verurteilte ihn das Kreisgericht (KrG) G.-Stadt (Az. S 23/89) wegen “ungesetzlicher Verbindungsaufnahme„ zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten. Seine Ehefrau war ebenfalls verhaftet worden und wurde gleichermaßen verurteilt. Der Kläger und seine Ehefrau waren danach in der Justizvollzugsanstalt (JVA) B.-G. inhaftiert. Nach den späteren Angaben des Klägers beruhte die Verurteilung auf einem Ausreiseantrag der Familie und der Ankündigung, gegen die Ablehnung dieses Antrags demonstrieren zu wollen; vor allem darauf, dass in einer Zeitung in der damaligen Bundesrepublik ein Artikel über den Fall erschienen war.

Am 27. Juli 1989 wurden der Kläger und seine Ehefrau nach ihrem Freikauf durch die Bundesrepublik aus der Haft entlassen. Sie reisten noch am selben Tag in das Bundesgebiet ein und in der Aufnahmestelle Gießen untergebracht. Sie wurden dem Land Baden-Württemberg zugewiesen und nahmen im August 1989 Wohnung im Rhein-Neckar-Kreis.

Auf den Antrag des Klägers vom 23. August 1989 hin erteilte das Landratsamt (LRA) des Rhein-Neckar-Kreises am 13. September 1990 die Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 Häftlingshilfegesetz (HHG),

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