Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. Feststellung des Grads der Behinderung. Bildung von Einzel-GdB. Versorgungsmedizinische Grundsätze. Einordnung von somatoformen Bewegungsschmerzen in den Abschnitt "Nervensystem und Psyche". Merkzeichen G. zumutbare Wegstrecke. Berücksichtigung von Schmerzen und Übergewicht
Leitsatz (amtlich)
Eine Fibromyalgie ist entsprechend den funktionellen Auswirkungen analog zu beurteilen und bei somatoformen Störungen beim nervenheilkundlichen Fachgebiet zu berücksichtigen.
Orientierungssatz
Bei der Beurteilung der für das Merkzeichen G zumutbar zu bewältigenden Wegstrecke kommt es nicht maßgeblich auf die mit dem Gehen verbundenen Schmerzen, sondern allein darauf an, ob die Gehstrecke von 2 Kilometern zu Fuß in 30 Minuten - auch mit Schmerzen und Übergewicht - bewältigbar ist.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts K. vom 29. September 2010 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) und die Feststellung des Merkzeichens “erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr„ (G) streitig.
Die 1955 geborene, aus K. stammende (Übersiedlung 1990) Klägerin beantragte am 13.07.2007 die Feststellung des GdB und von Merkzeichen. Das Landratsamt S. zog diverse ärztliche Unterlagen, insbesondere die Seiten 2.1 bis 2.6 des Entlassungsberichts des Prof. Dr. J., Ärztlicher Direktor der Rheumaklinik Bad W., vom 04.10.2007 (Rehabilitationsmaßnahme vom 05.09.2007 bis zum 03.10.2007; chronisches Zervikobrachialsyndrom beidseits bei degenerativen Halswirbelsäulenveränderungen, chronisches Lumbalsyndrom bei degenerativen Veränderungen, Varusgonarthrose beidseits, arterielle Hypertonie, Adipositas, Verdacht auf Fibromyalgiesyndrom) bei. Danach holte es den Befundbericht des Orthopäden W. vom 18.12.2007 (chronisch-degeneratives Wirbelsäulensyndrom, geringfügige schmerzhafte Bewegungseinschränkungen vor allem der Hals- und Brustwirbelsäule und geringer der Lendenwirbelsäule ohne neurologische Symptomatik, Polyarthralgien bei Verdacht auf Fibromyalgiesyndrom, ausgeprägte Beschwerden in nahezu allen großen Gelenken ohne ausgeprägte Funktionseinschränkungen) ein. Dr. G. berücksichtigte in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 14.01.2008 als Behinderungen degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, ein Fibromyalgiesyndrom und ein chronisches Schmerzsyndrom mit einem Einzel-GdB von 30 sowie eine Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke mit einem Einzel-GdB von 20 und bewertete den Gesamt-GdB mit 30. Nachdem die Klägerin weitere ärztliche Unterlagen vorgelegt hatte, berücksichtigte Dr. G. in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 19.02.008 als zusätzliche Behinderung eine Funktionsbehinderung beider Schultergelenke mit einem Einzel-GdB von 10 und bewertete den Gesamt-GdB weiterhin mit 30. Mit Bescheid vom 20.02.2008 stellte das Landratsamt den GdB mit 30 seit 13.07.2007 fest und lehnte die Feststellung von Merkzeichen ab.
Hiergegen legte die Klägerin am 28.02.2008 Widerspruch ein. Nachdem die Klägerin weitere ärztliche Unterlagen, insbesondere das Sozialmedizinische Gutachten von Dr. E. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-WürttemB. (MDK) vom 06.03.2008 (anhaltende somatoforme Schmerzstörung bei Verdacht auf Fibromyalgiesyndrom, Verdacht auf Restless-Legs-Syndrom, Verdacht auf Anpassungsstörung mit leichter depressiver Reaktion, bekannte arterielle Hypertonie, Adipositas, Osteochondrose und Spondylarthrose der Halswirbelsäule) vorgelegt hatte, berücksichtigte Dr. Sch. in ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 28.04.008 als zusätzliche Behinderung einen Bluthochdruck mit einem Einzel-GdB von 10 und bewertete den Gesamt-GdB nunmehr mit 40. Mit Teil-Abhilfebescheid vom 15.05.2008 stellte das Landratsamt den GdB mit 40 seit 13.07.2007 fest und lehnte weiterhin die Feststellung von Merkzeichen ab. Mit Widerspruchsbescheid vom 02.07.2008 wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Widerspruch im Übrigen zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 10.07.2008 Klage beim Sozialgericht K. erhoben. Sie hat Blatt 1 des Entlassungsberichts des Prof. Dr. J. vom 04.10.2007 vorgelegt.
Das Sozialgericht hat die im Rahmen des auf die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente gerichteten Klageverfahrens S 5 R 1965/08 angefallenen ärztlichen Unterlagen beigezogen, den Chirurgen Dr. B. unter dem 17.08.2008, den Neurologen und Psychiater Dr. M. unter dem 21.08.2008, den Neurologen und Psychiater Dr. G. unter dem 12.09.2008 sowie den Allgemeinmediziner Dr. G. unter dem 24.01.2009 schriftlich als sachverständige Zeugen gehört und diverse Arztbriefe beigezogen. Dr. B. hat ein ausgeprägtes Fibromyalgiesyndrom, eine Hemisensibilität links, eine Osteochondrose und Spondylarthrose an der Halswirbelsäule, eine Spondylolisthesis C4/5, eine Osteochondrose und Spondylarthrose an der Lendenwirbelsäule, eine Periarthritis h...