Entscheidungsstichwort (Thema)

Impfschadensrecht. Kannversorgung. Bejahung der theoretischen Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs durch einen einzelnen Sachverständigen. Erforderlichkeit der Erörterung in der medizinischen Fachliteratur

 

Leitsatz (amtlich)

Die "gute Möglichkeit", die nach der neueren Rechtsprechung des BSG (vgl BSG vom 17.7.2008 - B 9/9a VS 5/06 R = SozR 4-3200 § 81 Nr 5) Maßstab für die Kausalitätsbeurteilung bei der Kann-Versorgung ist, wird nicht dadurch begründet, dass ein einzelner Sachverständiger eine theoretische Möglichkeit in Erwägung zieht, die aber im Epidemiologischen Bulletin des Robert-Koch-Instituts weder empirisch belegt, benannt oder nur theoretisch in Erwägung gezogen wird.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts F. vom 29. Februar 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger Anspruch auf Feststellung der bei ihm bestehenden subakuten sklerosierenden Panencephalitis (SSPE) als Folge der Impfungen gegen Diphtherie, Tetanus, Pertussis, Polio, Hepatitis B und Hämophilus influenza sowie auf Gewährung von Versorgungsleistungen im Wege der Kann-Versorgung hat.

Der 1996 geborene Kläger leidet an einer SSPE, die anlässlich der stationären Behandlung vom 27. September bis 25. Oktober 2002 im Universitätsklinikum F., Neuropädiatrie und Muskelerkrankungen, diagnostiziert wurde. Zur Beurteilung wurde ausgeführt, zu der Erkrankung passe, dass die nicht gegen Masern geimpfte Mutter des Klägers an diesen erkrankt sei, als der Kläger, der selbst keine Symptome gezeigt habe, drei Monate alt gewesen sei (Arztbrief des Universitätsklinikums F. vom 16. Oktober 2002).

Am 24. April 1996, 11. Juni 1996, 11. Juli 1996 und 2. Juli 1997 wurde der Kläger gegen Diphtherie, Tetanus, Pertussis (azellulär) und Hämophilus influenza B (Hib) geimpft. Am 24. April 1996, 11. Juni 1996 und 2. Juli 1997 erfolgte eine Polio-Impfung Sabin S. Am 24. April 1996, 11. Juni 1996 und 9. April 1997 wurde der Kläger gegen Hepatitis B (Engerix-BK) und am 13. Mai 1997 sowie 9. April 2002 gegen Masern, Röteln und Mumps geimpft (Eintragungen im Impfbuch).

Am 30. Juni 2003 beantragte der Kläger die Gewährung von Versorgung wegen eines Impfschadens und führte seine Erkrankung auf die am 9. April 2002 durchgeführte Schutzimpfung gegen Masern, Mumps und Röteln zurück. Nach Anhörung des Kinderarztes Dr. H. sowie Einholung eines Gutachtens bei PD Dr. E. (sehr wahrscheinlich sei eine klinisch inapparente Maserninfektion abgelaufen, die die SSPE verursacht habe), lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 17. März 2004 den Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung wegen eines Impfschadens mit der Begründung ab, es sei unwahrscheinlich, dass die SSPE-Erkrankung kausal mit der angeschuldigten Impfung vom April 2002 zusammenhänge. Der dagegen eingelegte Widerspruch blieb nach Einholung der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Versorgungsärztin L. erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 13. August 2004). Zur Begründung wurde ergänzend ausgeführt, nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 2004 (AHP) würden als Erstreaktion auf einen Impfschaden mit dem verabreichten Masernlebendimpfstoff eine akute entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems mit Auftreten von Symptomen im Zeitraum von sieben bis vierzehn Tagen nach der Impfung angeführt. Somit sei die Möglichkeit eines Impfschadens sehr unwahrscheinlich. Wahrscheinlich sei, dass die festgestellte Erkrankung Spätfolge einer klinisch nicht sichtbar verlaufenden Masernerkrankung sei. Seine hiergegen beim Sozialgericht F. (SG) erhobene Klage (S 6 VJ 3064/04) blieb nach Einholung eines Gutachtens nach Aktenlage bei Prof. Dr. K. (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit habe sich der Kläger im Alter von drei Monaten bei seiner an Masern erkrankten Mutter mit dem Virus infiziert, denn das Risiko liege bei engem Kontakt beinahe bei 100 %, wobei bei dem Infizierten selbst keine klinischen Symptome der Erkrankung in Erscheinung träten) erfolglos (Urteil vom 16. Februar 2006). Auf seine dagegen eingelegte Berufung ließ das Landessozialgericht Baden-Württemberg (L 6 VJ 1209/06) den Kläger nach Aktenlage auf eigenes Kostenrisiko nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) begutachten. Dr. H. führte aus, dass neuere experimentelle Erkenntnisse ergäben, dass die inaktivierten Impfstoffe mit ihren immunmodulatorischen Inhaltsstoffen, die der Kläger im ersten Lebensjahr erhalten habe, vermutlich einen entscheidenden Beitrag zur Viruspersistenz geleistet hätten und daher eine pathophysiologisch plausible Erklärungsmöglichkeit für das Krankheitsbild bestehe. Deswegen werde eine “Kannversorgung„ vorgeschlagen. Der Beklagte legte hierzu eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. G. vor, wonach in der medizinischen Wissenschaft zwar noch Ungewissheit über die fehlerhafte ...

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