Bundesverfassungsgericht billigt Masern-Impfpflicht für Kita-Kinder
Eltern dürfen ihre kleinen Kinder auch in Zukunft nur in eine Kita geben, wenn diese gegen Masern geimpft oder immun sind. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 21. Juli 2022, der am 18. August 2022 veröffentlicht wurde (Az. 1 BvR 469/20 u.a.).
BVerfG: Grundrechtseingriff ist zumutbar
Die Grundrechtseingriffe seien nicht unerheblich, aber derzeit zumutbar, teilten die Karlsruher Richterinnen und Richter mit. Der Gesetzgeber verfolge den «Schutz eines überragend gewichtigen Rechtsguts, der hier auch dringlich ist»: Es gehe darum, die vielen Menschen vor dem hochansteckenden Virus zu schützen, die selbst nicht geimpft werden können. Das sind vor allem Säuglinge, Schwangere und Kranke mit Immunschwäche. Experten gehen davon aus, dass sie durch die Immunität der Anderen mitgeschützt werden, wenn flächendeckend mindestens 95 Prozent der Bevölkerung geimpft sind. Dieser Wert ist noch nicht erreicht.
Das Bundesverfassungsgericht wies auch darauf hin, dass gerade Kita-Kinder besonders oft Kontakt zu Schwangeren und Babys haben. Gleichzeitig sei ein echter Impfschaden «extrem unwahrscheinlich». «Die Gefahr für Ungeimpfte, an Masern zu erkranken, ist deutlich höher als das Risiko, einer auch nur vergleichsweise harmlosen Nebenwirkung der Impfung ausgesetzt zu sein», hieß es weiter. Die Impfung führe damit «zu einer erheblich verbesserten gesundheitlichen Sicherheit» auch des einzelnen betroffenen Kindes.
Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, so die Richter, dass der Gesetzgeber andere Maßnahmen als die Impfpflicht zur Gewährleistung des angestrebten Individual- und Gemeinschaftsschutzes als nicht sicher gleich wirksam angesehen hat.
Kombi-Impfstoffe zumutbar
Ungeimpfte Kinder seien auch nicht von «jeglicher frühkindlichen oder vorschulischen Förderung außerhalb der Familie» ausgeschlossen. So könnten sich privat mehrere gleichgesinnte Familien zusammentun.
Die klagenden Eltern hatten auch beanstandet, dass man in Deutschland sein Kind gar nicht ausschließlicht gegen die Masern impfen lassen kann. Denn es gibt nur Kombi-Impfstoffe auch gegen Mumps, Röteln und teilweise Windpocken. Die Verfassungsrichter haben damit kein Problem: Auch diese Impfungen würden von der Ständigen Impfkommission (Stiko) empfohlen und seien «grundsätzlich kindeswohldienlich».
Eine Beanstandung gab es nur im Detail. Im Infektionsschutzgesetz ist ganz allgemein von Impfstoffen die Rede, die auch Komponenten «gegen andere Krankheiten» enthalten. Kombinationen sind laut Beschluss aber nur - wie heute üblich - mit Mumps, Röteln und Windpocken erlaubt.
Reaktionen auf die Entscheidung des BVerfG
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bezeichnete die Entscheidung als «gute Nachricht für Eltern und Kinder». «Eine Masernerkrankung ist lebensgefährlich – für die Erkrankten und ihr Umfeld», teilte der SPD-Politiker in Berlin mit. Es sei deshalb Aufgabe des Staates, Infektionen etwa in Kitas zu vermeiden.
Auch der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte begrüßte die Entscheidung. «Alle anderen Maßnahmen für eine höhere Impfquote haben nicht gefruchtet», sagte Präsident Thomas Fischbach. Der Impfstoff sei sicher und seit Jahrzehnten erprobt.
Frist für die Vorlage des Nachweises war bis 31. Juli 2022 verlängert worden
Durch das "Gesetz zur Stärkung der Impfprävention gegen COVID-19 und zur Änderung weiterer Vorschriften im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie" vom 10.12.2021 wurde in § 20 Absatz 10 Satz 1 und 2 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) die Angabe „31. Dezember 2021“ durch die Angabe „31. Juli 2022“ ersetzt. Dies führte dazu, dass der Nachweis der Impfung gegen Masern bis zum 31. Juli 2022 vorgelegt werden muss.
Wer muss eine Impfung gegen Masern nachweisen?
Nach dem Infektionsschutzgesetz müssen Personen, die in Gemeinschaftseinrichtungen nach § 33 Nr. 1 bis 3 IfSG betreut werden oder mit den Betreuten Kontakt haben bzw. dort tätig sind, eine Masernimpfung nachweisen. Dies sind Einrichtungen, in denen überwiegend minderjährige Personen betreut werden. Dazu gehören insbesondere:
- Kindertageseinrichtungen und Kinderhorte,
- erlaubnispflichtige Kindertagespflege,
- Schulen und sonstige Ausbildungseinrichtungen.
Das Infektionsschutzgesetz betrifft aber auch Personen, die in Gesundheitseinrichtungen tätig sind. Das sind:
- Krankenhäuser,
- Einrichtungen für ambulantes Operieren,
- Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen, in denen eine den Krankenhäusern vergleichbare medizinische Versorgung erfolgt,
- Dialyseeinrichtungen,
- Tageskliniken,
- Entbindungseinrichtungen,
- Behandlungs- oder Versorgungseinrichtungen, die mit einer der in den Nr. 1 bis 6 genannten Einrichtungen vergleichbar sind,
- Arztpraxen, Zahnarztpraxen,
- Praxen sonstiger humanmedizinischer Heilberufe wie z. B. Diätassistentin, Ergotherapeutin, Hebamme, Logopädin, Physiotherapeutin, Podologin,
- Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes, in denen medizinische Untersuchungen, Präventionsmaßnahmen oder ambulante Behandlungen durchgeführt werden,
- ambulante Pflegedienste, die ambulante Intensivpflege in Einrichtungen, Wohngruppen oder sonstigen gemeinschaftlichen Wohnformen erbringen,
- Rettungsdienste.
Der Personenkreis der "tätigen" Personen in Gesundheitseinrichtungen ist weit gefasst, weil das Gesetz keine Einschränkung auf ärztliches und pflegerisches Personal bzw. Personal, das am Patienten arbeitet, enthält. Er umfasst daher nicht nur das medizinische Personal, sondern auch andere dort tätige Personen wie z. B. das Personal in der Verwaltung, Küchen- oder Reinigungspersonal.
Wegen der Schulpflicht darf kein Kind vom Schulbesuch ausgeschlossen werden. Ist es nicht geimpft, können gegen die Eltern Bußgelder bis 2.500 Euro verhängt werden.
Nachweispflicht betrifft nur Bestandspersonal
Die Nachweispflicht betrifft Personen, die nach 1970 geboren sind und schon vor dem 1. März 2020 bei den genannten Einrichtungen gearbeitet haben.
Beschäftigte, die nach dem 1. März 2020 eingestellt worden sind, mussten schon vor Aufnahme der Tätigkeit den Masern-Impfschutz nachweisen.
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