Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsprüfung. Beitragsnachforderung. Arbeitnehmerüberlassung. Feststellung der rückwirkenden Tarifunfähigkeit der CGZP. equal pay-Anspruch der Leiharbeitnehmer. Vertrauensschutz steht Beitragsnachforderung mit Wirkung für die Vergangenheit nicht entgegen. Weigerung des Arbeitgebers, die für eine Betriebsprüfung notwendigen Unterlagen vorzulegen. Verletzung der Aufzeichnungspflicht. Schätzungsbefugnis. - siehe dazu anhängiges Verfahren beim BSG: B 12 R 6/17 R

 

Orientierungssatz

1. Auch in der Weigerung des Arbeitgebers, die für eine Betriebsprüfung notwendigen Unterlagen vorzulegen, liegt eine Verletzung der Aufzeichnungspflicht des § 28f Abs 1 S 1 SGB 4 vor, die nicht nur als Voraussetzung für den in § 28f Abs 2 S 1 SGB 4 geregelten Lohnsummenbescheid gilt, sondern auch Voraussetzung ist für die Schätzungsbefugnis des § 28f Abs 2 S 3 SGB 4.

2. Vertrauensschützende Normen des deutschen innerstaatlichen Rechts stehen einer Rückwirkung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur fehlenden Tariffähigkeit der "Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen" und der im Anschluss daran von Sozialversicherungsträgern auf equal pay-Basis mit Wirkung für die Vergangenheit geltend gemachten Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen grundsätzlich nicht entgegen.

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 28.05.2015 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 86.970,47 € endgültig festgesetzt.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Nachforderung von Sozialabgaben für Zeit vom 26.02.2007 bis 31.12.2009 i.H.v. 86.970,47 €.

Die Klägerin betreibt als eingetragene Kauffrau (e.K.) ein (Einzel-)Unternehmen, das die gewerbliche Arbeitnehmerüberlassung zum Gegenstand hat (Personalservice-Agentur). Grundlage der Arbeitsverträge zwischen der Klägerin und den bei ihr beschäftigten Leiharbeitnehmern waren während der (streitigen) Zeit zwischen dem 26.02.2007 und dem 31.12.2009 die Tarifverträge der Tarifgemeinschaft CGZP und des Arbeitgeberverbandes AMP. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) stellte mit Beschluss vom 14.12.2010 (- 1 ABR 19/10 -, in juris) die Tarifunfähigkeit der CGZP fest.

Mit Schreiben vom 23.12.2010 teilte die Beklagte der Klägerin mit, da unklar sei, wie sich der Beschluss des BAG vom 14.12.2010 (a.a.O.) auf die seit Januar 2006 fällig gewordenen Beitragsansprüche auswirke, müsse sie die Ansprüche vorsorglich fristwahrend geltend machen; sie beabsichtige, im Jahr 2011 eine Betriebsprüfung durchzuführen.

Vom 08.07.2011 bis 18.05.2012 führte die Beklagte bei der Klägerin die angekündigte Betriebsprüfung durch.

Mit Schreiben vom 05.01.2011 teilte die Klägerin der Beklagten mit, sie wende seit dem 26.01.2007 die Tarifverträge der CGZP an. Sie sei bereit, der Beklagten Zugang zu allen Arbeitnehmerüberlassungsverträgen der Jahre 2007 bis 2009 zu verschaffen. Im Schreiben vom 21.07.2011 führte die Klägerin aus, sie stelle sich der Betriebsprüfung nicht entgegen, lehne aber weitergehende Prüfhilfe ebenso ab wie die Nachzahlung von Sozialabgaben, die Abgabe von Entgeltmeldungen und die Einreichung korrigierter Lohnnachweise. Im Schreiben vom 19.10.2011 bekräftigte die Klägerin, sie wolle der Betriebsprüfung nicht entgegentreten, verwehre der Beklagten aber den Zugang zu allen Verträgen zwischen ihr und den Entleihunternehmen.

Mit Schreiben vom 28.10.2011 forderte die Beklagte die Klägerin zur Vorlage der Unterlagen ihrer Leiharbeitnehmer einschließlich der Arbeitsverträge, der Unterlagen über die Arbeitnehmerüberlassung, insbesondere der Nachweise und Belege über gezahlte Arbeitsentgelte vergleichbarer Stammarbeitnehmer der Entleihunternehmen, einer Liste aller Entleihunternehmen mit vollständiger Anschrift sowie einer Debitorenliste einschließlich der Rechnungsbelege auf.

Mit Schreiben vom 11.11.2011 lehnte die Klägerin die Vorlage der Unterlagen ihrer Leiharbeitnehmer ab.

Mit Schreiben vom 25.11.2011 wies die Beklagte die Klägerin darauf hin, bei unzureichender Mitwirkung müssten die Arbeitsentgelte der Leiharbeitnehmer ggf. geschätzt bzw. es müsse ein Schätzbescheid nach Maßgabe des § 28f Abs. 2 Satz 3 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) erlassen werden; außerdem könnten Säumniszuschläge erhoben werden.

Mit Schreiben vom 07.05.2012 lehnte die Klägerin die Durchführung der Betriebsprüfung ab; sie sehe keinen Anlass für eine so genannte CGZP-Prüfung und auch keine Anhaltspunkte für Abgabennachforderungen.

Mit Bescheid vom 19.06.2012 (nach am 18.05.2012 erfolgter Anhörung) gab die Beklagte der Klägerin auf, für die Zeit vom 26.02.2007 bis 31.12.2009 Sozialabgaben für die bei ihr beschäftigten Leiharbeitnehmer i.H.v. 86.970,47 € (darin enthalten Säumniszuschläge für die Zeit vom 01.02.2011 bis 30.04.2012 i.H.v. 11.280,00 €) nachzuzahlen. ...

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