Leitsatz (amtlich)
Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) muss die belegärztliche Tätigkeit des Vertragsarztes nicht als Grund für die Befreiung von der Teilnahme am (allgemeinen) ärztlichen Notfalldienst berücksichtigen. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Notfalldienstordnung (NFDO) der KV neben der belegärztlichen Tätigkeit das Erreichen eines bestimmten Lebensalters, berufspolitische Tätigkeiten und fehlende aktuelle Kenntnisse und Fertigkeiten für die Durchführung des Notfalldienstes als Befreiungsgründe ausschließt und die Befreiung vom Notfalldienst neben dem Vorliegen eines Befreiungsgrundes (zusätzlich) davon abhängig macht, dass dem Vertragsarzt die Bestellung eines (Notfalldienst-)Vertreters wirtschaftlich unzumutbar ist.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 29.09.2016 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 5.000,00 € endgültig festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Befreiung von der Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst.
Der Kläger nimmt als Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde (mit den Zusatzbezeichnungen “plastische Operationen„ und “ambulante und stationäre Operationen„) an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Er ist Mitglied einer ärztlichen Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) bzw. Gemeinschaftspraxis und außerdem Belegarzt am St-J., F..
Der ärztliche Notfalldienst ist in der Notfalldienstordnung (NFDO) der Beklagten geregelt. Gemäß § 4 Abs. 1 NFDO haben (u.a.) zugelassene Ärzte grundsätzlich am Notfalldienst teilzunehmen. Der zum Notfalldienst eingeteilte Arzt kann sich gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 NFDO von einem anderen approbierten Arzt vertreten lassen, wobei er dafür verantwortlich bleibt, dass der vertretende Arzt den Dienst ordnungsgemäß versieht. Die Befreiung vom ärztlichen Notfalldienst ist in § 6 NFDO geregelt. Die Vorschrift hat (auszugsweise) folgenden Wortlaut:
(1) ... ≪ betrifft Schwangerschaft, Entbindung und Kindererziehung ≫
(2) Abgesehen von den Fällen des Abs. 1 können Ärztinnen und Ärzte auf Antrag ganz oder teilweise von der Teilnahme am Notfalldienst befreit werden, wenn
- sie aus gesundheitlichen oder vergleichbar schwerwiegenden Gründen, die zu einer deutlichen Einschränkung ihrer vertragsärztlichen Tätigkeit führen, an der persönlichen Teilnahme am Notfalldienst gehindert sind
und
- ihnen die Bestellung eines Vertreters aus wirtschaftlichen Gründen nicht zugemutet werden kann. Wirtschaftliche Gründe sind gegeben, wenn der Ärztin/dem Arzt aufgrund geringer Einkünfte aus der ärztlichen Tätigkeit nicht mehr zugemutet werden kann, den Notfalldienst auf eigene Kosten durch einen Vertreter durchführen zu lassen. Der Kreisbeauftragte informiert sich bei der Notfalldienst-Kommission über das Vorliegen derartiger wirtschaftlicher Gründe.
Das Erreichen eines bestimmten Lebensalters, belegärztliche oder berufspolitische Tätigkeiten oder fehlende aktuelle Kenntnisse und Fähigkeiten für die Durchführung des Notfalldienstes sind keine schwerwiegenden Gründe im Sinne des Satzes 1.
Unter dem 14.08.2013 beantragte der Kläger die Befreiung von der Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst. Er operiere regelmäßig an 1 bis 3 Tagen in der Woche als Belegarzt. Die Patienten würden stationär in 20 Belegbetten postoperativ versorgt. Die HNO-ärztliche Betreuung obliege dem Operateur, der (u.a.) in Notfällen jederzeit erreichbar sein müsse. Das könne nicht gewährleistet werden, wenn er in der Notfallpraxis ärztlichen Notfalldienst leisten müsse. Um den etwaigen Behandlungsbedarf seiner operierten Patienten wenigstens einzugrenzen, müsste er mindestens 3 Wochen vor dem Notfalldienst die operative Tätigkeit einstellen, was die Versorgung der Patienten gravierend einschränken würde.
Mit Bescheid vom 25.11.2013 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Ein Befreiungsgrund liege nicht vor.
Mit Schreiben vom 20.12.2013 erhob der Kläger Widerspruch. Er operiere als Belegarzt am St-J. und ambulant in einem Zentrum für ambulante Diagnostik und Chirurgie sowie in der eigenen Praxis. Er betreue die operierten Patienten postoperativ auch in Notfällen, etwa bei Nachblutungen, und sei dafür rund um die Uhr erreichbar. Im Notfall müsse er binnen 15 bis 20 Minuten im St.-J. operieren können. Die Belegärzte des St.-J. hätten seit über 20 Jahren einen belegärztlichen Notfalldienst organisiert. Müsste er am ärztlichen Notfalldienst teilnehmen, könnte er seinen belegärztlichen Pflichten nicht mehr nachkommen. Möglich wäre die Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst nur an Wochenenden und während des Urlaubs, wenn er an dem belegärztlichen Notfalldienst des St-J. nicht teilnehmen müsse. Der Einsatz eines Vertreters (§ 5 NFDO) löse das Problem nicht; das sei keine Dauerlösung und verlagere die Organisationsverantwortung der Beklagten auf ihn, den Kläger. Die NFDO werde seiner besonderen Situation nicht gerecht.
Mit Widerspruchsbescheid vom 24.06.2014 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Nac...