Entscheidungsstichwort (Thema)
Antrag auf Weitergewährung einer befristet bewilligten Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Maßgeblichkeit der durch Gesundheitsstörungen verursachten funktionellen Beeinträchtigungen im Rahmen der Prüfung von Erwerbsminderung iS des § 43 SGB 6. sozialgerichtliches Verfahren. missbräuchlicher Antrag nach § 109 Abs 1 S 1 SGG. Auswahl des Sachverständigen bei Ermittlungen von Amts wegen durch das Gericht. keine Umgehung durch § 109 SGG
Orientierungssatz
1. Bei einem Antrag, eine befristet bewilligte Rente wegen Erwerbsminderung weiterzuzahlen, bedarf es keines Nachweises durch den Rentenversicherungsträger, dass eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen iS des § 48 SGB 10 gegenüber denen, die der Bewilligung zugrunde lagen, eingetreten ist.
2. Im Rahmen der Prüfung von Erwerbsminderung iS des § 43 SGB 6 kommt es nicht entscheidend auf eine bestimmte Diagnosestellung, die Art oder Anzahl von Diagnosen oder auf die Bezeichnung von Befunden an, sondern auf die Beeinflussung des individuellen quantitativen sowie qualitativen Leistungsvermögens durch dauerhafte Gesundheitsstörungen, also auf die durch die Gesundheitsstörungen verursachten funktionellen Beeinträchtigungen, sodass auch die Ursachen der Gesundheitsstörung nicht maßgeblich sind (vgl BSG vom 28.2.2017 - B 13 R 37/16 BH).
3. Auch in Bezug auf das Antragsrecht nach § 109 Abs 1 S 1 SGG gelten die dem gesamten Prozessrecht zugrunde liegenden Grundsätze von Treu und Glauben, sodass das Gericht nicht verpflichtet ist, einem rechtsmissbräuchlichen Beweisantrag nachzukommen, auch nicht im Rahmen des § 109 SGG (vgl LSG Stuttgart vom 24.3.2016 - L 10 U 4462/15 sowie vom 14.12.2018 - L 8 R 2569/17).
4. Die Auswahl des Sachverständigen bei Ermittlungen von Amts wegen obliegt dem Gericht (§ 118 Abs 1 S 1 SGG, § 404 Abs 1 S 1 ZPO) und kann auch durch § 109 SGG nicht unterlaufen werden. Hierfür bietet § 109 SGG keine Rechtsgrundlage.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 20.01.2021 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die befristete (Weiter-)Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 30.09.2019 hinaus.
Der am 1960 geborene Kläger absolvierte von August 1975 bis Januar 1979 eine Ausbildung zum Werkzeugmacher und war bis 1981 überwiegend in diesem Beruf beschäftigt. Anschließend übte er nach eigener Angabe verschiedene Hilfsarbeitertätigkeiten aus. Von März 1982 bis August 1987 war er als Maschineneinsteller und in der Maschinenwartung eines Briefhüllenwerks beschäftigt und sodann bis März 1992 als selbstständiger Modellbauer tätig. Im Anschluss daran arbeitete er bis zum Eintritt von Arbeitsunfähigkeit Mitte März 2007 sozialversicherungspflichtig als Druckmaschineneinsteller. Eine Beschäftigung nahm er seither nicht mehr auf. Bei ihm ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 70 anerkannt.
Sein erster Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung von Juli 2007 hatte keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Heilbronn - SG - vom 13.01.2011; die dagegen gerichtete Berufung zum Landessozialgericht - LSG - Baden-Württemberg nahm der Kläger im Dezember 2011 zurück, L 5 R 615/11). Im anschließenden zweiten Erwerbsminderungsrentenverfahren (Rentenantrag von Mai 2011, Ablehnungsbescheid vom 21.03.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.11.2012, Gerichtsbescheid des SG vom 01.04.2014, S 2 R 4291/12) schlossen die Beteiligten im Berufungsverfahren vor dem 9. Senat des LSG Baden-Württemberg (L 9 R 1923/14) im September 2017 einen Vergleich, wonach sich die Beklagte bereit erklärte, dem Kläger ausgehend von einem Leistungsfall am 15.10.2014 (Zeitpunkt zwischen der seinerzeitigen Begutachtung durch den Facharzt u.a. für Neurologie und Psychiatrie M. Mitte April 2013 und der Begutachtung durch den nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - gehörten Nervenarzt und Psychotherapeuten Prof. Dr. R. Ende Januar 2016) eine Rente wegen voller Erwerbsminderung befristet für die Zeit vom 01.05.2015 bis 31.03.2019 zu gewähren. Mit Rentenbescheid vom 15.11.2017 führte die Beklagte den Vergleich aus und verfügte mit weiterem Rentenbescheid vom 27.03.2019, dass die Rente wegen voller Erwerbsminderung weiterhin auf Zeit bis zum 30.09.2019 geleistet werde.
Bereits Mitte Dezember 2018 hatte der Kläger die Weitergewährung seiner Erwerbsminderungsrente über den Befristungszeitpunkt hinaus beantragt. Die Beklagte zog ärztliche Unterlagen bei (u.a. aus den vorangegangenen Rentenverfahren) und holte das Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. P. ein. Diese diagnostizierte nach Untersuchung Anfang April 2019 eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung ohne Auswirkung auf das quantitative Leistungsvermögen. Die vom Kläger angegebenen Antidepressiva und Schmerzmitt...