Leitsatz (amtlich)

1. Das Rechtsmittelgericht ist befugt, von Amts wegen in der Berufungsendentscheidung einen offenbaren Schreibfehler im Urteil des SG (falsches Entscheidungsdatum) von Amts wegen zu berichtigen und zwar auch dann, wenn das Urteil keinen Bestand hat.

2. Der Versicherte trägt die objektive Beweislast dafür, dass der Versicherungsfall der Erwerbsminderung zu einem Zeitpunkt eingetreten ist, zu dem die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen letztmals vorgelegen haben und seither ununterbrochen besteht.

3. Für die Frage des Eintritts eines Versicherungsfalls der Erwerbsminderung kommt es nicht auf bloße „Eindrücke“ der erkennenden Richter vom Versicherten in Terminen an, sondern die medizinische Beurteilung richtet sich nach überdauernden funktionellen Defiziten auf Grundlage objektiv-klinischer, ärztlicher Befunde, die schlüssig und nachvollziehbar sein müssen.

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 19.10.2023 - nach Berichtigung des Rubrums hinsichtlich des Tages der mündlichen Verhandlung (19.10.2023 statt 11.10.2023) - aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger für die Zeit vom 01.11.2019 bis 31.10.2025 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zusteht.

Der 1966 geborene Kläger, griechischer Staatsbürger, zog im Jahr 1968 in das Bundesgebiet zu. Eine Ausbildung zum Metallwerker von Anfang September 1984 bis Anfang Oktober 1985 brach er nach eigenen Angaben wegen Einziehung zum griechischen Militärdienst ab. Mit Unterbrechungen war der Kläger in der Folge als Werkschutzfachkraft sozialversicherungspflichtig tätig, zuletzt von Anfang Februar 1997 (vgl. Bl. 11 S 20 R 5894/16 ) bis zum Eintritt von Arbeitsunfähigkeit Anfang des Jahres 2013 (letzter Pflichtbeitragsmonat aus Beschäftigung: Januar 2013) bei dem Sicherheitsdienstunternehmen S3. Er bezog bis zum 29.07.2013 (das Arbeitsverhältnis mit der S3 endete Ende Juli 2013) Krankengeld und vom 01.08.2013 bis 21.07.2014 Arbeitslosengeld bzw. von der Beklagten (rückwirkend) Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01.04.2014 bis 30.09.2015 (s. dazu noch sogleich). Vom 01.01.2017 bis 31.08.2017 und vom 01.10.2017 bis 31.10.2018 stand der Kläger im Leistungsbezug nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), so auch erneut im Dezember 2018; von Mitte November bis Ende Dezember 2018 sowie von Anfang August bis Ende September 2019 übte der Kläger noch eine nicht versicherungspflichtige geringfügige Beschäftigung aus. Wegen der weiteren Einzelheiten der rentenrechtlichen Versicherungszeiten wird auf den Versicherungsverlauf vom 15.02.2024 (S. 81 ff. Senats-Akte) Bezug genommen. Bei dem Kläger, der seit dem 20. Lebensjahr an einem essentiellen Tremor (Bl. 50 SG-Akte S 20 R 5894/16 ) und seit dem 25. Lebensjahr an einer chronischen Hepatitis B (Bl. 51 a.a.O.) leidet, war seit April 2011 ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 festgestellt; zwischenzeitlich ist dem Kläger ein GdB von 60 zuerkannt.

Im September 2013 beantrage der Kläger bei der Beklagten erstmals die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Anfang Juli 2014 wurde bei ihm in der Klinik für Neurochirurgie des Universitätsklinikums T1 eine stereotaktische Elektrodenimplantation beidseits mit nachfolgender Generatorimplantation links infraclavikulär durchgeführt. Im Anschluss daran befand sich der Kläger vom 22.07. bis 26.08.2014 auf Kosten der Beklagten zur stationären Rehabilitation in den Fachkliniken H1 - Abt. Neurologie - in U1, aus der er mit einem Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr täglich für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt entlassen wurde. Mit Bescheid vom 22.09.2014 bewilligte ihm die Beklagte - ausgehend von einem Versicherungsfall zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung - Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01.04.2014 befristet bis zum 30.09.2015.

Auf den Weiterzahlungsantrag des Klägers holte die Beklagte das Gutachten des Facharztes B1 vom 29.09.2015 ein, der nach Untersuchung (Diagnosen: essentieller Tremor rechts betont, Kopf und Coperal, Zustand nach [Z.n.] Implantation von Stimulationselektroden 7/2014 mit deutlicher Befundbesserung, angegebene Kopfschmerzen, migräniform, Hinweise für Schmerzmittelabusus, anamnestisch chronisch persistente Hepatitis B unter Therapie mit Tenofovir; keine objektivierbaren kognitiven Einschränkungen) ein Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Arbeiten (ohne Tätigkeiten mit vermehrter Beanspruchung des Konzentrations- und Reaktionsvermögens) auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von mehr als sechs Stunden täglich beschrieb und eine erneute stationäre Rehabilitation empfahl. Diese wurde im Widerspruchsverfahren gegen den Rentenablehnungsbescheid der Beklagten vom 12.10.2015 vom 07.01. bis 04.02.2016 in der Reha-Klinik B2 in B3 durchgeführt. Die Reha-Ärzte gelangten ebenso wie zuvor der Gutachter zu einem z...

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