Leitsatz (amtlich)
1. Ein die Anwendung des § 44 SGB 10 ausschließender öffentlich-rechtlicher Vergleichsvertrag setzt in der Sache ein gegenseitiges Nachgeben aufgrund bewusster Zweifel an der Rechtslage voraus und ist schriftlich niederzulegen (§ 56 SGB 10). Dass sich aus einem Schriftwechsel ein Vergleich ergibt, muss in der Urkunde unmissverständlich zum Ausdruck kommen.
2. Das Zugunstenverfahren des § 44 SGB 10 dient nicht der nachträglichen Korrektur von Verfahrens- oder Formverstößen, sondern soll materielles Unrecht beseitigen. Verletzungen von vertrauensschützenden Vorschriften des Verfahrensrechts (hier § 48 Abs 1 S 2 Nr 4 SGB 10) unterfallen aber der Rücknahmepflicht im Rahmen des § 44 Abs 1 S 1 SGB 10.
Tenor
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15. September 2004 wird abgeändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 28. Februar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Juni 2003 verpflichtet, den Bescheid vom 7. April 2000 zurückzunehmen, soweit die teilweise Aufhebung der Rentenbewilligung für den Zeitraum vom 1. Oktober 1999 bis 31. Januar 2000 betroffen ist.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger 2.430,60 DM (= 1.242,74 Euro) zu bezahlen.
Die Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Verfahrens vor dem Sozialgericht und die gesamten außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Zugunstenverfahren über die Rechtmäßigkeit eines Bescheids vom 7. April 2000.
Der am ... 1938 geborene Kläger war mit B. geb. K. (geb. 1941) in erster Ehe ab März 1966 verheiratet. Durch Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Pforzheim vom 3. Mai 1988 (rechtskräftig seit 28. Juni 1988) wurde die Ehe geschieden; im Urteil waren vom Versicherungskonto des Klägers bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) Rentenanwartschaften in Höhe von 476,05 DM, bezogen auf das Ehezeitende (30. September 1986), auf das Versicherungskonto der Ehefrau übertragen worden. Am 31. März 1989 heiratete der Kläger B. M.-K. (i.F. B.M.-K.) erneut. Die Ehefrau des Klägers war bis Februar 1994 berufstätig, danach krank geschrieben (Krankengeldbezug bis 26. August 1994); vom 1. April 1995 bis 6. Januar 1999 wurden wegen der Pflege ihres Vaters Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt.
Durch Bescheid vom 19. Februar 1997 bewilligte die BfA dem Kläger rückwirkend ab 1. Oktober 1995 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU), wobei sich - unter Berücksichtigung des Abschlags von 13,6575 Entgeltpunkten aus dem Versorgungsausgleich - bei nunmehr 39,9804 persönlichen Entgeltpunkten eine monatliche (Brutto-)Rente ab 1. Oktober 1995 von 1.848,29 DM sowie ab 1. Juli 1996 von 1.865,89 DM ergab (Zahlbeträge nach Abzug der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ab 1. Oktober 1995 1.717,07 DM, ab 1. Juli 1996 1.725,02 DM).
Am 29. Dezember 1998 beantragte der Kläger unter Hinweis auf die Bestimmung des § 5 des Gesetzes zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich (VAHRG), den Versorgungsausgleich „auszusetzen“, weil er seiner Ehefrau, die weder berufstätig sei noch eine Rente erhalte, unterhaltspflichtig sei. B.M.-K. hatte bei der Landesversicherungsanstalt (LVA) Baden im April 1997 selbst einen Antrag auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gestellt, welcher im Verwaltungsverfahren mit Bescheid vom 14. August 1997 (Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 1998) erfolglos geblieben war. Von der rentenablehnenden Verwaltungsentscheidung, nicht jedoch von der zwischenzeitlichen Klageerhebung zum Sozialgericht Karlsruhe - SG - (S 14 RJ 676/98), unterrichtete sie unter dem 24. Januar 1999 die BfA, welche ihrerseits über die Rentenantragstellung bereits im Mai 1997 von der LVA Baden Mitteilung erhalten hatte. Nach Einholung des Kontospiegels der LVA Baden vom 9. Februar 1999 entsprach die BfA dem Antrag des Klägers durch Bescheid vom 23. April 1999 rückwirkend ab 1. Oktober 1995; unter zusätzlicher Berücksichtigung von persönlichen Entgeltpunkten für Kindererziehungszeiten errechnete sie nunmehr insgesamt monatlich 55,6371 persönliche Entgeltpunkte, was einer monatlichen (Brutto-)Rente ab 1. Oktober 1995 von 2.549,00 DM (netto 2.368,03 DM), ab 1. Juli 1996 von 2.573,26 DM (2.378,98 DM), ab 1. Juli 1997 von 2.615,71 DM (netto 2.422,15 DM) sowie ab 1. Juli 1998 von 2.636,82 DM (netto 2.429,84 DM) entsprach. Mit Bescheid vom 2. Juli 1999 wurde die Rente wegen EU aufgrund der Bewertung einer weiteren Beitragszeit nochmals rückwirkend ab 1. Oktober 1995 neu feststellt; bei insgesamt 55,9744 persönlichen Entgeltpunkten ergaben sich monatliche (Brutto-)Rentenbeträge 1. Oktober 1995 von 2.587,70 (netto 2.403,97 DM), ab 1. Juli 1996 von 2.612,33 DM (netto 2.415,11 DM), ab 1. Juli 1997 von 2.655,43 DM (netto 2.458,93 DM), ab 1. Juli 1998 von 2.667,55 DM (netto 2.458,15 DM) sowie ab 1. Juli 1999 von 2.703,56 DM (netto 2.491,33 DM).
Zwischenzeitlich hatte das SG mit Urteil vom 15. April 1999 die Klage der B.M.-...