Entscheidungsstichwort (Thema)
Überlanges Gerichtsverfahren. Entschädigungsklage. Kostenfestsetzungsverfahren. Vorbereitungs- und Bedenkzeit von 3 Monaten. Pflicht des Gerichts zur Rückforderung von Akten zur Kostenfestsetzung. regelmäßig untergeordnete Bedeutung des Kosteninteresses. keine Geldentschädigung. Wiedergutmachung auf andere Weise
Leitsatz (amtlich)
Da sich ein Kostenfestsetzungsverfahren dadurch auszeichnet, dass in diesem nicht der Richter, sondern der Urkundsbeamte des Gerichts entscheidet (§ 197 Abs 1 S 1 SGG), gerichtliche Ermittlungen im Sinne einer Sachaufklärung nicht durchzuführen sind und zur Berücksichtigung der geltend gemachten Kosten bereits deren Glaubhaftmachung genügt (§ 197 Abs 1 S 2 SGG iVm § 104 Abs 2 S 1 ZPO), ist es angemessen, bei Kostenfestsetzungsverfahren nach § 197 Abs 1 SGG in Anlehnung an die Untätigkeitsklagefrist des § 88 Abs 2 SGG in der Regel eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von drei Monaten einzuräumen.
Orientierungssatz
1. Kostenfestsetzungsverfahren sind nach Erledigung der vorangegangenen Hauptsache für den Beteiligten ohnehin im Allgemeinen von untergeordneter Bedeutung, weshalb nach den Umständen des Einzelfalls regelmäßig eine Wiedergutmachung auf andere Weise als eine Geldentschädigung ausreichend ist (vgl BSG vom 10.6.2014 - B 10 ÜG 8/13 R = SozR 4-1720 § 198 Nr 2).
2. Es liegen Zeiten zurechenbarer Verfahrensverzögerung vor, wenn es für das Sozialgericht jederzeit möglich und im Sinne einer Verfahrensförderung des Kostenfestsetzungsverfahrens (insbesondere nach erhobener Verzögerungsrüge) angezeigt gewesen war, die nicht unmittelbar vorliegenden Verfahrensakten kurzfristig für die weitere Bearbeitung des Kostenfestsetzungsantrags von anderen Stellen und Gerichten zurückzufordern.
3. Im Zweifel ist davon auszugehen, dass der Prozessbevollmächtigte einen Antrag auf Kostenfestsetzung nicht für sich selbst, sondern in Vertretung für den Beteiligten des zugrunde liegenden Hauptsacheverfahrens stellt.
Tenor
Die unangemessene Dauer des beim Sozialgericht Karlsruhe unter dem Aktenzeichen S 2 AL 2876/15 geführten Kostenfestsetzungsverfahrens wird festgestellt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu drei Viertel und der Beklagte zu einem Viertel zu tragen.
Der Streitwert wird auf 2.395,52 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten wegen der Dauer eines Kostenfestsetzungsverfahrens über einen Entschädigungsanspruch der Klägerin nach dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGG).
Die Klägerin erhob am 7. September 2015 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) die Klage Aktenzeichen S 2 AL 2876/15, mit der sie die Gewährung von Insolvenzgeld für den Zeitraum 12. Dezember 2014 bis 6. Januar 2015 begehrte. Über diese Klage entschied das SG mit Urteil vom 13. Dezember 2017. Gegen dieses Urteil erhob der Prozessbevollmächtigte der Klägerin für diese am 12. Januar 2018 Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung. Das Beschwerdeverfahren (L 13 AL 182/18 NZB) endete mit Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (LSG) vom 14. September 2018. Bezogen auf das Klageverfahren als Ausgangsverfahren und auch bezüglich des infolge des Klageverfahrens durchgeführten Kostenfestsetzungsverfahrens, welches Ausgangsverfahren dieses Entschädigungsklageverfahrens ist, führte die Klägerin eine Entschädigungsklage (L 2 SF 954/19 EK AL) vor dem LSG. Diese Entschädigungsklage nahm der Bevollmächtigte der Klägerin für diese am 12. August 2020 zurück.
Mit Schreiben vom 15. Januar 2018 - beim SG eingegangen am 19. Januar 2018 - beantragte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin bezogen auf das Klageverfahren S 2 AL 2876/15 Kostenfestsetzung. Dabei formulierte er: „... beantragen wir Kostenfestsetzung gemäß §§ 106 ff. ZPO ... Gesamtbetrag 1.688,67 €. Die Klägerin ist zum Vorsteuerabzug nicht berechtigt“. Am 29. Januar 2018 leitete das SG den Kostenfestsetzungsantrag zur Stellungnahme an die Beklagte verbunden mit einer Frist von vier Wochen weiter. Am 25. Januar 2018 ging die Mitteilung des LSG beim SG ein, dass gegen das Urteil vom 13. Dezember 2017 Nichtzulassungsbeschwerde erhoben worden sei; um umgehende Vorlage der Akten werde gebeten. Am 31. Januar 2018 übersandte das SG seine Akten an das LSG. Am 8. Februar 2018 ging die Stellungnahme der Beklagten beim SG ein, wonach eine Kostenübernahme (derzeit) nicht erfolgen könne, da das Urteil mit Nichtzulassungsbeschwerde angefochten worden sei; der Kostenfestsetzungsantrag sei für die Beklagte auch nicht nachvollziehbar. Mit Verfügung vom 9. Februar 2018 leitete das SG die Stellungnahme des Beklagten an den Klägerbevollmächtigten weiter; eine Stellungnahme wurde freigestellt. Am 20. September 2018 ging der Beschluss des LSG vom 14. September 2018 über die Nichtzulassungsbeschwerde (L 13 AL 182/18 NZB) verbunden mit der SG-Akte beim SG ein. Am 28. September 2018 ging das Schreiben der Beklagten beim SG ein, wonach die Beklagte a...