Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachversicherung. Säumniszuschläge bei erteilter Aufschubbescheinigung. Organisationsverschulden
Leitsatz (amtlich)
Der Rentenversicherungsträger kann Säumniszuschläge für die Vergangenheit festsetzen, auch wenn die zur Nachversicherung verpflichtete Stelle eine Aufschubbescheinigung erteilt hat. Denn die zur Nachversicherung verpflichtete Stelle muss auch danach durch organisatorische Maßnahmen sicherstellen, dass sie die notwendige Kenntnis von den Tatsachen, die für eine Nachversicherung von Bedeutung sind, erhält.
Orientierungssatz
1. Bei Körperschaften des öffentlichen Rechts schließt das Außerachtlassen ausreichender organisatorischer Vorkehrungen (sog Organisationsverschulden) eine unverschuldete Unkenntnis iS von § 24 Abs 2 SGB 4 aus. Das Fehlen notwendiger organisatorischer Maßnahmen bedingt, dass sich die Organisation das Wissen einzelner Mitarbeiter zurechnen lassen muss (vgl BSG vom 1.7.2010 - B 13 R 67/09 R = SozR 4-2400 § 24 Nr 5 und vom 17.4.2008 - B 13 R 123/07 R = BSGE 100, 215 = SozR 4-2400 § 25 Nr 2).
2. Für Vorsatz iS des § 25 Abs 1 S 2 SGB 4 ist das Bewusstsein und der Wille erforderlich, die Abführung der Beiträge zu unterlassen. Hierzu reicht es aus, wenn der Arbeitgeber die Beiträge mit (nur) bedingtem Vorsatz vorenthalten hat, also die Beitragspflicht für möglich gehalten, die Nichtabführung der Beiträge aber billigend in Kauf genommen hat. Direkter Vorsatz ist nicht erforderlich (vgl BSG vom 30.3.2000 - B 12 KR 14/99 R = SozR 3-2400 § 25 Nr 7, vom 26.1.2005 - B 12 KR 3/04 R = SozR 4-2400 § 14 Nr 7 und vom 17.4.2008 - B 13 R 123/07 R aaO).
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 15. März 2010 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Tatbestand
Die klagende Bundesrepublik Deutschland wendet sich gegen die Festsetzung von Säumniszuschlägen wegen verspäteter Durchführung der Nachversicherung.
Der 1960 geborene J. A. (im Folgenden Versicherter) war vom 1. Oktober 1979 bis 30. September 1991 Soldat auf Zeit. Anschließend war er bis 20. Dezember 1991 Schüler an der Bundeswehrfachschule K., danach ohne Beschäftigung. Ab 1. Oktober 1992 war er Student an der Fachhochschule Rheinland-Pfalz. Er nahm am 13. Februar 1995 eine versicherungspflichtige Beschäftigung auf. Er erhielt bis 30. September 1994 Übergangsgebührnisse.
Das Wehrbereichsgebührnisamt IV in Wiesbaden, das die Dienstbezüge des Versicherten zahlte, teilte dem Wehrbereichsgebührnisamt V in Stuttgart (nunmehr Wehrbereichsverwaltung Süd), welches damals neben einem weiteren Wehrbereichsgebührnisamt für die Durchführung der Nachversicherung von Soldaten auf Zeit zuständig war, unter dem 6. November 1991 Daten zur Nachversicherung, u.a. die Bescheinigung über das Diensteinkommen, mit. Zur Einleitung des Verfahrens der Nachversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung bat das Wehrbereichsgebührnisamt V den Versicherten, u.a. die ihm übersandte Erklärung zur Nachversicherung neu auszufüllen (Schreiben vom 20. Januar 1992). Die vom Versicherten vollständig ausgefüllte Erklärung ging beim Wehrbereichsgebührnisamt V am 3. Februar 1992 ein. Der Versicherte erklärte u.a., innerhalb eines Jahres nach Wegfall der Übergangsgebührnisse eine andere in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungsfreie Beschäftigung aufgenommen zu haben oder aufnehmen zu werden, ohne jedoch nähere Angaben hierzu zu machen. Die zunächst gemachte Angabe, innerhalb eines Jahres nach dem Ausscheiden aus der Bundeswehr eine andere in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungsfreie Beschäftigung aufgenommen zu haben oder aufnehmen zu werden, war gestrichen. Das Wehrbereichsgebührnisamt V unterrichtete den Versicherten unter dem 4. Februar 1992, dass über eine Nachversicherung oder deren Aufschub erst im Oktober 1995 entschieden werden könne, sowie dann unter dem 14. Dezember 1993 darüber, dass er in der gesetzlichen Rentenversicherung nachzuversichern sei. Die diesem Schreiben beigefügte und vom Versicherten unter dem 16. Dezember 1993 ausgefüllte Erklärung zur Nachversicherung ging beim Wehrbereichsgebührnisamt V am 20. Dezember 1993 ein. Der Versicherte gab u.a. an, er habe sich um eine versicherungsfreie Beschäftigung als Beamter beworben und werde das Wehrbereichsgebührnisamt V bei einer Einstellung umgehend informieren. Beigefügt war die Bescheinigung der Fachhochschule Rheinland-Pfalz vom 7. September 1993, wonach der Versicherte als ordentlicher Studierender im Wintersemester 1993/1994 eingeschrieben sei. Auf Nachfrage des Wehrbereichsgebührnisamts V vom 18. Mai 1994 nannte der Kläger die Stelle, bei der er sich beworben habe, sowie als voraussichtlichen Zeitpunkt der Einstellung September 1995 (am 30. Mai 1994 eingegangene Antwort des Versicherten). Das Wehrbereichsgebührnisamt V bescheinigte unter dem 16. August 1994 den Aufschub der Nachversicherung wegen der Tätigkeit ab 1. September 1995. Auf der Bescheinigung ist handschriftlich als Rent...