Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. haftungsausfüllende Kausalität. unmittelbare Unfallfolge. Operation: notwendige Mitbehandlung degenerativer Vorschäden. Abgrenzung zur mittelbaren Unfallfolge gem § 11 Abs 1 Nr 1 SGB 7. gesundheitlichen Folgen einer "geglückten" Heilbehandlung. reizlose Narbenbildung. diskrete Muskelverformung
Leitsatz (amtlich)
1. Die notwendige Mitbehandlung degenerativer Vorschäden bei der Behandlung des durch den Arbeitsunfall verursachten Gesundheitserstschadens führt dazu, dass die Folgen der gesamten Behandlung - auch der unfallunabhängigen Schäden - Unfallfolge ist.
2. Dem Schutzbereich des § 11 Abs 1 Nr 1 SGB VII (mittelbare Unfallfolgen bei Heilbehandlung) unterfallen nicht die gesundheitlichen Folgen einer "geglückten" Heilbehandlung.
Normenkette
SGB VII § 11 Abs. 1 Nr. 1, § 8 Abs. 1 Sätze 1-2, § 2 Abs. 1 Nr. 1; SGG § 54 Abs. 1, § 55 Abs. 1 Nr. 3
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 29.05.2013 abgeändert und die Beklagte verurteilt, als Folgen des Unfalls vom 05.07.2011 eine reizlose Narbenbildung und eine diskrete Muskelverformung anzuerkennen. Die darüber hinausgehende Klage wird abgewiesen.
Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung von Unfallfolgen streitig.
Der am 1968 geborene Kläger erlitt am 05.07.2011, gegen 17.30 Uhr einen Arbeitsunfall, als er im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit als kaufmännischer Mitarbeiter des Autohauses S. einen ca. 210 kg schweren Karton mit Windschutzscheiben vor sich her schob, dieser sich verkantete und nach rechts kippte. Beim Versuch, den Karton mit der rechten Hand aufzufangen, wurde sein Arm nach unten gerissen und der Kläger verspürte - so seine Angaben - sofort einen stechenden Schmerz in der rechten Schulter.
Am 08.07.2011 stellte sich der Kläger bei dem Internisten Dr. R. vor, der auf Grund des erhobenen Befundes (Druckschmerz rechte Schulter, kein Muskelbauch M. bizeps) eine Schulterzerrung diagnostizierte und mit Diclofenac behandelte (Auskunft vom 15.09.2011, Bl. 47/48 VerwA). Bei fortbestehenden Beschwerden stellte sich der Kläger am 19.07.2011 bei dem Durchgangsarzt Dr. V. vor, der nach klinischer Untersuchung (Befund: Druckschmerz im Verlauf der langen Bizepssehne, Schultergeradstand, keine Seitendifferenz der Muskulatur, freie Funktion, jedoch ab 90 ° Abduktion/Elevation sehr schmerzhaft, Impingementzeichen negativ, Rotatorenmanschettentests negativ, Lift-Off-Test positiv, Apprehensionstest negativ, AC-Gelenk frei, keine Kraftminderung bei Abduktion/Elevation gegen Widerstand, Ellenbogen, Handgelenk und Finger frei, DMS intakt), röntgenologischer (rechte Schulter kein pathologischer Befund) und sonographischer Untersuchung (Befund: [Sub-]Luxation der langen Bizepssehne) den Verdacht auf eine Läsion der langen Bizepssehne rechts äußerte (Durchgangsarztbericht vom 19.07.2011, Bl. 1 VerwA). Er veranlasste eine Magnetresonanztomographie (MRT) der rechten Schulter, die am 27.07.2011 durchgeführt wurde und ausweislich des Befundes des Radiologen Dr. V. Hinweise auf eine SLAP- und Pulley-Läsion zeigte (Befund vom 27.07.2011, Bl. 23 VerwA). Anlässlich der hiernach am 04.08.2011 erfolgten Vorstellung in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. (BG-Klinik) empfahl Prof. Dr. S. , Ärztlicher Direktor der BG-Klinik, auf Grund des klinischen und des bildgebenden Befundes eine Arthroskopie des rechten Schultergelenks mit Bizepssehnentenodese, subacromialer Depression und ggf. Rotatorenmanschettenrekonstruktion (Zwischenbericht vom 05.08.2011, Bl. 27/28 VerwA), die schließlich am 30.09.2011 in der BG-Klinik im Rahmen einer stationären Behandlung durchgeführt wurde (Therapie: ASAD und Acromio-Plastik, Debridement der Rotatorenmanschette, Tenodese der langen Bizepssehne mit einem Swivelock).
Mit Bescheid vom 25.10.2011 führte die Beklagte dem Kläger gegenüber aus, ein Anspruch auf Leistungen über den 15.08.2011 hinaus bestehe nicht. Im OP-Bericht seien keine krankhaften Veränderungen im Bereich des rechten Schultergelenks beschrieben worden, die mit einer Zerrung des rechten Schultergelenks am 05.07.2011 in Zusammenhang gebracht werden könnten. Vielmehr seien lediglich verschleißbedingte Veränderungen beschrieben worden. Da eine Zerrung der Schulter nach ärztlicher Erfahrung spätestens nach sechs Wochen folgenlos verheile, bestehe über den 15.08.2011 hinaus kein Anspruch auf Leistungen.
Auf die gleichzeitig an Prof. Dr. S. gerichtete Frage, weshalb die zu ihren Lasten erfolgte Heilbehandlung nach Kenntnis des OP-Befundes, der lediglich verschleißbedingte Veränderungen gezeigt habe, nicht abgebrochen worden sei, führte Prof. Dr. S. aus, dass sich die im intraoperativen Befund beschriebene Erweiterung der Pulley-Schlinge auf Grund des Unfallhergangs als Traumafolge darstelle. Der stationär...