Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Vertrag über die hausarztzentrierte Versorgung. Verwaltungsaktsqualität eines Schiedsspruchs. Zulässigkeit der isolierten Anfechtungsklage. Umfang der gerichtlichen Kontrolle. Darlegung von Verstößen gegen verfahrensrechtliche Grundsätze im Schiedsverfahren. Wirksamkeit eines durch Schiedsspruch festgelegten Vertrages
Leitsatz (amtlich)
Bei einem Schiedsspruch, mit dem von einer Schiedsperson ein Vertrag über die hausarztzentrierte Versorgung nach § 73b Abs 4 SGB 5 festgesetzt wird, handelt es sich im Verhältnis zu den Vertragsparteien um einen Verwaltungsakt. Für Entscheidungen nach § 73b Abs 4a SGB 5 gilt nichts anderes als für Entscheidungen der Schiedsämter nach § 89 SGB 5. Dementsprechend ist gegen den Schiedsspruch die Anfechtungsklage zulässig. Für die inhaltliche Prüfung hochkomplexer Regelungen, wie Verträge über die hausarztzentrierte Versorgung mit weitreichenden Auswirkungen für Hausärzte und Krankenkassen, sind die §§ 317 bis 319 BGB nicht geeignet.
Orientierungssatz
1. Die gerichtliche Rechtskontrolle eines Schiedsspruches und des durch die Schiedsperson nach § 73b Abs 4 S 2, Abs 4a SGB 5 festgelegten Vertragsinhalts ist erheblich beschränkt, und der Schiedsperson steht ein weiter Gestaltungsspielraum zu.
2. Zur Frage der Darlegung von Verstößen gegen verfahrensrechtliche Grundsätze im Schiedsverfahren nach Maßgabe des § 73b Abs 4a SGB 5.
3. Zur Frage der Wirksamkeit eines durch Schiedsspruch festgelegten Vertrages über die hausarztzentrierte Versorgung.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 25.04.2012 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Der Streitwert wird für beide Rechtszüge auf 1.680.000,00 € festgesetzt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen den Schiedsspruch über den Vertrag zwischen ihr und den Beklagten über die hausarztzentrierte Versorgung nach § 73b Abs. 4 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V).
Nach der Bestimmung des § 73b Abs. 1 SGB V haben die Krankenkassen ihren Versicherten eine besondere hausärztliche Versorgung (hausarztzentrierte Versorgung) anzubieten. Zur flächendeckenden Sicherstellung dieses Angebotes mussten die Krankenkassen gem. § 73b Abs. 4 SGB V (in der zum 01.01.2009 in Kraft getretenen Fassung vom 15.12.2008, BGBl. I S. 2426) allein oder in Kooperation mit anderen Krankenkassen spätestens bis zum 30.06.2009 Verträge mit Gemeinschaften schließen, die mindestens die Hälfte der an der hausärztlichen Versorgung teilnehmenden Allgemeinärzte des Bezirks der Kassenärztlichen Vereinigung (im Folgenden: KV) vertreten. Können sich die Vertragsparteien nicht einigen, kann die Gemeinschaft die Einleitung eines Schiedsverfahrens nach näherer Maßgabe des § 73b Abs. 4a SGB V beantragen (§ 73b Abs. 4 Satz 2 SGB V).
Im Hinblick darauf fanden zwischen der Klägerin und den Beklagten in der ersten Jahreshälfte 2009 Verhandlungen statt. Da eine Einigung nicht zustande kam, beantragten die Beklagten die Durchführung des Schiedsverfahrens. Mit Bescheid vom 08.03.2010 bestellte das Bundesversicherungsamt den Vorsitzenden Richter am BSG a. D. Dr. E. zur Schiedsperson. Dagegen erhob die Klägerin am 09.04.2010 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (Verfahren S 5 KA 2172/10) und suchte außerdem um vorläufigen Rechtsschutz nach (Verfahren S 5 KA 2173/10 ER). Mit Beschluss vom 30.07.2010 (S 5 KA 2173/10 ER) wies das Sozialgericht den Antrag zurück. Die dagegen von der Klägerin eingelegte Beschwerde zum LSG Baden-Württemberg (Verfahren L 5 KA 4112/10 ER-B) wurde nach Ergehen des Schiedsspruchs vom 09.09.2010 zurückgenommen. Am 23.07.2010 hatte die Klägerin beim Sozialgericht Stuttgart - ebenfalls erfolglos (Beschluss vom 30.07.2010, S 10 KA 4471/10 ER) - um vorläufigen Rechtsschutz gegen die Terminfestsetzung durch die Schiedsperson nachgesucht. Diese führte am 03.08.2010 eine mündliche Verhandlung durch, an der die Klägerin nicht teilgenommen hat.
Mit Schreiben vom 07.04.2010 hatte die Klägerin der Schiedsperson mitgeteilt, dass sie mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht einverstanden sei. Mit Schreiben vom 20.04.2010 hatte die Klägerin eine Festsetzung auf der Grundlage des von ihr unterbreiteten Vertragsangebotes beantragt. Zu dem Vertragsentwurf der Beklagten hatte sie im Schreiben vom 29.04.2010 mit insgesamt 68 Einzelanträgen Stellung genommen und diese im Schreiben vom 01.09.2010 um folgende Sachanträge (Anträge 2 bis 5) ergänzt:
2. Bestimmung eines vollständigen Vertrages insbesondere einschließlich der Anlagen zum Hilfsmittel- und Arzneimittelmanagement.
2.1. Festlegung der Anlagen zum Hilfsmittel- und Arzneimittelmanagement entsprechend dem Vertragsangebot der Bahn-BKK, bei der eine zusätzliche Vergütung nur erfolgen würde, wenn auch im Übrigen ein Add-on-Vertrag festgesetzt wird. Im Hilfsmittelmanagement wäre die Malusregelung bei...