Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherungsrechtlicher Status. Gesellschafter-Geschäftsführerin. Rechtsmacht. Versicherungsfreiheit wegen Erreichens der Regelaltersgrenze. Beitragspflicht des Arbeitgebers. Verfassungsmäßigkeit. Versicherungsfreiheit von Beziehern einer Vollrente wegen Alters nach § 5 Abs 4 Nr 1 SGB 6. isolierter Arbeitgeberbeitrag nach § 172 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 6. Nichtermittlung von Entgeltpunkten für Zeiten nach Beginn einer Altersvollrente nach § 75 Abs 1 SGB 6
Orientierungssatz
1. Zur sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung einer Gesellschafter-Geschäftsführerin, die infolge ihres Alters versicherungsfrei ist.
2. Die Regelungen zur Versicherungsfreiheit von Beziehern einer Vollrente wegen Alters (§ 5 Abs 4 Nr 1 SGB 6), zur Verpflichtung des Arbeitgebers zur Beitragsabführung zur gesetzlichen Rentenversicherung ohne Zuordnung dieser Beiträge zum Versicherungskonto der Arbeitnehmers (§ 172 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 6) und zur Nichtermittlung von Entgeltpunkten für Zeiten nach Beginn einer Altersvollrente (§ 75 Abs 1 SGB 6) sind verfassungsgemäß (vgl LSG Stuttgart vom 16.6.2015 - L 9 R 4276/12).
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 10.07.2019 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die ihre Kosten selbst tragen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 31.662,37 € festgesetzt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um den sozialversicherungsrechtlichen Status von E. Sch. (Beigeladene zu 1) als einer von drei Geschäftsführern der Klägerin und die Nachforderung von Arbeitgeberbeiträgen zur Renten und Arbeitslosenversicherung sowie entsprechender Insolvenzgeldumlagen in Höhe von 31.662,37 €.
Die Klägerin ist seit dem 29.06.1990 im Handelsregister eingetragen und betreibt in der Rechtsform einer GmbH die industrielle Herstellung und den Vertrieb von Schläuchen. Die im Jahr 1945 geborene Beigeladene zu 1 übernahm nach dem plötzlichen Tod ihres geschäftsführenden Ehemannes im Jahr 1984 die Führung des Unternehmens und hielt zunächst 54% der Gesellschaftsanteile (28.080,00 € - Stammkapital 52.000,00 €). Ihr Sohn Ch. Sch. hielt einen Anteil vom 26% sowie M. R. einen Anteil von 20%. Die Beigeladene zu 1 bezieht eine Regelaltersvollrente von der Deutschen Rentenversicherung.
Mit notarieller Urkunde vom 17.12.2012 (I 43 der Verwaltungsakte) übertrug die Beigeladene zu 1 an ihren Sohn Ch. Sch. sowie ihre Tochter M. W. als neu eingetretene Gesellschafterin jeweils im Wege der Schenkung einen Gesellschaftsanteil im Nennbetrag von 4.680,00 € (18% des Gesellschaftsanteiles). An den Gesellschafter R. verkaufte die Beigeladene zu 1 einen Gesellschaftsanteil im Nennbetrag von 5.200,00 € und übertrug ihm somit 10% ihres Gesellschaftsanteils. Seither hält die Beigeladene zu 1 einen Gesellschaftsanteil von 26 % (13.520,00 €), Ch. Sch. einen Gesellschaftsanteil von 35 % (18.200,00 €), M. R. 30 % (15.600,00 €) sowie M. W. 9 % (4.680,00 €).
Der Gesellschaftsvertrag (vgl. Bl. I 49 der Verwaltungsakte) lautet auszugsweise wie folgt:
§ 4 Geschäftsführung, Vertretung
…
(3) Die Geschäftsführer sind verpflichtet, die Geschäfte der Gesellschaft in Übereinstimmung mit dem Gesetz, diesen Gesellschaftsvertrag sowie den Beschlüssen der Gesellschafter zu führen und eine von den Gesellschaftern aufgestellte Geschäftsordnung zu beachten.
(4) Die Geschäftsführer bedürfen - ungeachtet ihrer Vertretungsmacht nach außen - für folgende Geschäfte der vorherigen Zustimmung durch Gesellschafterbeschluss:
a) alle Geschäfte, die die Gesellschafter durch Gesellschafterbeschluss oder in einer Geschäftsordnung für zustimmungsbedürftig erklären;
b) alle Geschäfte, die über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb der Gesellschaft hinausgehen;
c) Abschluss und Änderung von Anstellungs- und Dienstverträgen mit Geschäftsführern und Prokuristen;
d) Erwerb, Veräußerung und Belastung von Beteiligungen an anderen Unternehmen;
e) Erwerb oder Veräußerung von Betrieben und Teilbetrieben;
f) Errichtung oder Aufhebung von Zweigniederlassung.
(5) Ein unter vorstehenden Abs. (4) fallende Geschäftsführungshandlung darf die Geschäftsführung ohne den zustimmenden Gesellschafterbeschluss vornehmen, wenn dies nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen zur Abwendung schwerer Nachteile für die Gesellschaft erforderlich ist. Die Geschäftsführung hat über ein solches Handeln den Gesellschaftern unverzüglich umfassend Bericht zu erstatten.
§ 5 Vertretung
(1) Die Gesellschaft hat einen oder mehrere Geschäftsführer. Bei nur einem Geschäftsführer vertritt dieser die Gesellschaft allein. Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, so wird die Gesellschaft von zwei Geschäftsführern gemeinschaftlich oder von einem Geschäftsführer in Gemeinschaft mit einem Prokuristen vertreten.
…
(3) Der Gesellschafterin Frau Eva Schönthaler steht, solange sie Gesellschafterin der Ge...