Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. progredient verlaufende Multiple Sklerose mit ausgeprägter Peronaeusparese. Anspruch auf Versorgung mit dem Fußhebesystem Ness L300
Leitsatz (amtlich)
Versicherte der GKV, die an einer progredient verlaufenden Multiplen Sklerose mit ausgeprägter Peronaeusparese leiden, haben Anspruch auf Versorgung mit dem Fußhebesystem Ness L300. In einem solchen Fall handelt es sich bei dem Fußhebesystem um ein Hilfsmittel, das nicht der Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung, sondern dem unmittelbaren Ausgleich einer Behinderung (Gangstörung) dient.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 07.04.2017 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte erstattet auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Versorgung der Klägerin mit dem Hilfsmittel Fußhebesystem Typ Ness L300.
Die 1972 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie leidet an einer sekundär chronisch progredient verlaufenden Multiplen Sklerose (ED 7/99) mit Gangstörung mit Lähmungen (ausgeprägte Peronaeusparese, links betont) und ausgeprägter Gangunsicherheit. Seit 2007 bezieht sie eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Seit September 2012 ist Pflegestufe 1 anerkannt, seit Mai 2016 Pflegestufe 2 und seit Januar 2017 Pflegegrad 3. Ein Grad der Behinderung von 100 vH besteht mit den Merkzeichen “aG„ und “B„.
Am 28.04.2014 ging bei der Beklagten ein Antrag der Klägerin auf Kostenübernahme für das Fußhebesystem Ness L300 ein (Kosten 5.500 €) mit einer Verordnung vom 08.04.2014 durch PD Dr. S.. Die Beklagte holte eine medizinische Fallberatung beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein. Unter dem 14.05.2014 führte der MDK aus, es handele sich um ein Medizinprodukt, das nach Herstellerangaben ein geringes Gewicht besitze und so konzipiert sei, dass es direkt unter das Knie passe. Es bestehe aus drei Hauptelementen, Beinmanschette, Gangsensor und Fernbedienung, die über eine kabellose Verbindung in Kontakt miteinander stünden und das Gehen unterstützen sollten. Eine Aufnahme ins Hilfsmittelverzeichnis (HMV) liege derzeit nicht vor. Es gebe keine Unterlagen, die eine Überlegenheit des Produkts gegenüber den unter 23.03.02.6 ff gelisteten dynamischen Fußhebeorthesen belegten. Bislang sei die Klägerin nur mit einer Rededyn Bandage versorgt. Auf der Videodokumentation sei sie nur mit Ness L300 und ohne Orthese abgebildet, dies sei nicht aussagekräftig. Eine adäquate Versorgung könne durch alle unter 23.03.02.6 ff gelisteten Fußhebeorthesen erreicht werden.
Mit Bescheid vom 22.05.2014 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für ein Ness L300 Fußhebesystem gestützt auf die Ausführungen des MDK ab.
Mit ihrem Widerspruch vom 10.06.2014 machte die Klägerin geltend, sie habe im Rahmen einer Probeversorgung unter Beweis stellen können, dass sie die Funktionen des streitigen Hilfsmittels nutzen könne und von den Gebrauchsvorteilen in ihrem Alltag profitiere. Soweit hierdurch therapeutische Effekte wie zB Entgegenwirken von Muskelatrophien erreicht würden, werde dies gerne hingenommen. Es handele sich jedoch in erster Linie um ein Mobilitätshilfsmittel, welches dem Anwender ein besseres und sichereres Laufen ermögliche. Es gelte das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits (unter Hinweis auf BSGE 93, 183 - C-Leg).
Die Beklagte schaltete erneut den MDK ein. Im Gutachten vom 19.11.2014 führte Dr. P. aus, ein wesentlicher Gebrauchsvorteil des Ness L300 gegenüber einer Fußhebeorthese könne nicht nachvollzogen werden. Die Versorgung mit einer dynamischen Fußhebeorthese sei zu empfehlen. Mit Widerspruchsbescheid vom 28.07.2015 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Hilfsmittel, die zum Ausgleich einer Behinderung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse benötigt würden, seien Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Bei einem Verlust der Gehfähigkeit habe die Kasse lediglich für einen Basisausgleich zu sorgen, dazu gehöre die Fähigkeit, sich in der eigenen Wohnung oder im Nahbereich zu bewegen. Es sei auch das Wirtschaftlichkeitsgebot zu beachten. Bei Hilfsmitteln, die therapeutischen Zwecken dienten, sei der Nachweis des therapeutischen Nutzens nach den Maßstäben für die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu verlangen. Der MDK habe ausgeführt, dass die gelisteten Fußhebeorthesen den medizinisch therapeutischen Sinn erfüllten; über eine dynamische Fußhebeorthese der Produktgruppe 23.03.02.6 sei eine adäquate Versorgung möglich.
Hiergegen richtet sich die am 31.08.2015 zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhobene Klage. Bei dem streitgegenständlichen Hilfsmittel handele es sich um einen Fußschrittmacher, der im Alltag getragen werde und durch elektrische Impulse die Wadenmuskulatur wieder zur Kontraktion bringe. Durch den an der Ferse des Anwenders angebrachten Senso...