Entscheidungsstichwort (Thema)
Hilfsmittelversorgung. Hörgerät. gleiche Grundsätze im sozialen Entschädigungsrecht und im Krankenversicherungsrecht. Festbetragsregelung. Freiburger Sprachtest. Vergleichsmessung. Vorteil von 5 % des Hörverstehens. Fehlertoleranz. keine Relevanz des subjektiven Hörgefühls. Bluetooth-Funktionalität als bloßer Nutzungskomfort. Selbstverschaffung. probeweise Überlassung durch den Hörgeräteakustiker. zeitliche Grenze
Leitsatz (amtlich)
1. Im Rahmen des BVG gelten bei der Hilfsmittelversorgung die gleichen Grundsätze wie in der gesetzlichen Krankenversicherung.
2. Der Versorgungsträger erfüllt in der Regel mit der Gewährung des Festbetrages seine Leistungspflicht.
3. Der Freiburger Sprachtest ist ein geeignetes Mittel, um die Güte eines Hörsystems bewerten zu können.
Orientierungssatz
1. Ein Unterschied von 5 % bzw einem Wort im Rahmen von Vergleichsmessungen des Akustikers kann auch von Zufälligkeiten und der jeweiligen Tagesform abhängen (vgl LSG Stuttgart vom 22.2.2022 - L 11 KR 2459/20 und vom 2.2.2021 - L 11 KR 2192/19).
2. Das rein subjektive Hörgefühl des Hörgeräteträgers ist durch die Leistungserbringer und durch die Gerichte nicht überprüfbar und kann deshalb nicht Grundlage für die Beurteilung sein, welches Hörgerät ausreicht, um die Behinderung auszugleichen (so auch LSG Neustrelitz vom 19.11.2020 - L 6 KR 36/16).
3. Die Funktionalität, das Handy über Bluetooth mit dem Hörgerät verbinden zu können (ohne fürs Telefonieren die Geräuschunterdrückung des Hörgeräts aktivieren und das Handy dicht ans Mikrofon halten zu müssen), bezieht sich auf die Bequemlichkeit und den Komfort bei der Nutzung des Hilfsmittels und ist deshalb ebenfalls nicht zu berücksichtigen.
4. Bei einem Überlassungszeitraum von mehr als zwei Jahren ist keine probeweise Überlassung eines Hörgeräts mehr anzunehmen.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 20. Juli 2021 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Gewährung einer Hörgeräteversorgung mit dem Hörgerät ReSound Enzo 3D 9 ET-998-DW als Hilfsmittelversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Er ist 1943 geboren, hat bei der L1 den Beruf des Instrumentenmachers erlernt und war selbstständig tätig (vgl. die Angaben im HNO-ärztlichen Gutachten vom 26. November 1987).
Mit Bescheid vom 9. April 1973 erkannte das damals zuständige Versorgungsamt G4 (nachfolgend einheitlich: Beklagter) als durch schädigende Einwirkungen im Sinne des § 1 BVG hervorgerufene Gesundheitsstörungen eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit rechts, eine hochgradige, kombinierte Schwerhörigkeit links bei Ohrradikaloperation beidseits mit Typanoplastik nach chronischer Mittelohreiterung beidseits an. Anspruch auf Beschädigtenversorgung sowie Heil- und Krankenbehandlung bestehe seit dem 1. Dezember 1970. In der Folge wurde der Kläger mehrfach mit Hörgeräten für das linke Ohr versorgt.
Zuletzt am 12. September 2012 beantragte er die Neuversorgung mit einem Hörgerät unter Vorlage des Anpassberichtes der Hörgeräte S3 und M1 GmbH vom 27. August 2012. Hierzu wies der Beklagte darauf hin (Schreiben vom 12. September 2012), dass grundsätzlich auf die Festbetragsregelungen der gesetzlichen Krankenversicherung abzustellen sei. Für eine darüberhinausgehende Versorgung müsse dokumentiert sein, welcher Hörerfolg mit einem Festbetragsgerät erzielt werden könne. Dabei müssten mindestens zwei Geräte aus dem mittleren Preissegment - aktuell bis zu maximal 1.500 € - miteinander verglichen werden. Nach Vorlage eines weiteren Anpassberichtes führte G2 versorgungsärztlich aus, dass der Festbetrag nur geringfügig überschritten und deshalb eine Kostenübernahme empfohlen werde. Die Kosten wurden vom Beklagten daraufhin übernommen.
Am 17. Juli 2019 beantragte der Kläger erneut - streitgegenständlich - die Neuversorgung mit einem Hörgerät und legte den Kostenvoranschlag der G3 Hörakustik vom 14. Juli 2019 für das Gerät ReSound ENZO 3D ET998-DW SN zu einem Gesamtpreis von 2.427,00 € vor. Zum Hörgewinn wurde dargelegt, dass mit dem angebotenen Gerät das Sprachverstehen bei 65 dB im Nutzschall 75 % und mit Störschall 25 % betragen habe. Mit dem aufzahlungsfreien Gerät ReSound Magna 2 MG290-DVI seien 70 % und 25 % erreicht worden.
G2 führte versorgungsärztlich aus, dass das aufzahlungspflichtige Hörsystem im Anpassbericht nur einen Hörgewinn von 5 % gegenüber dem aufzahlungsfreien System aufweise. Der Hörgewinn sei somit nicht signifikant und das Festbetragssystem ausreichend. Die vom Kläger geschilderten Hörerlebnisse seien zur Kenntnis genommen worden, maßgeblich für die Beurteilung sei aber der Anpassbericht mit der Vergleichsmessung.
Mit Bescheid vom 29. Juli 2019 entsprach der Beklagte dem Antrag auf Gewährung einer Hörhilfe im Rahmen des § 17 Abs. 1 der Verordnung über die Versorgung mit Hilfsmitteln und über Ersatzleistungen nach dem BVG insoweit, als die Kosten für eine vergle...