Entscheidungsstichwort (Thema)

Medizinische Rehabilitation. Versorgung mit Hörgerät. Zuständigkeitsklärung. Alleinzuständigkeit des erstangegangenen Rehabilitationsträgers. Rechtswidrigkeit der Entscheidungen der unzuständigen Rehabilitationsträger. Auslegung einer behördlichen Erklärung als Verwaltungsakt. negative Feststellung in Bezug auf höhere Kostenerstattung für Hörhilfen. Bindungswirkung. sozialrechtliches Verwaltungsverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die erstangegangene Rehabilitationsträgerin entscheidet ausschließlich und umfassend über den Kostenerstattungsanspruch bei selbstbeschafften Hörhilfen, die Verwaltungsentscheidungen der unzuständigen Sozialleistungsträgerin sind auf Anfechtungsklage hin aufzuheben.

2. Hat die zuständige Rehabilitationsträgerin bindend festgestellt, dass kein Anspruch auf Kostenerstattung besteht, ist die Leistungsklage unbegründet.

 

Orientierungssatz

Bei der Auslegung, ob eine behördliche Erklärung (hier: negative Feststellung, keine weitergehenden Kosten für eine Hörgeräteversorgung zu übernehmen) ein in Bestandskraft erwachsener Verwaltungsakt darstellt, ist Maßstab der Empfängerhorizont verständiger Beteiligter, die die Zusammenhänge berücksichtigen, welche die Behörde nach ihrem wirklichen Willen (§ 133 BGB) erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat (vgl BSG vom 29.1.2008 - B 5a/5 R 20/06 R = BSGE 100, 1).

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 27. Januar 2016 teilweise und der Bescheid vom 17. April 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juli 2014 umfassend aufgehoben.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten in beiden Instanzen zu einem Viertel zu erstatten.

 

Tatbestand

Streitig ist die Erstattung der den Festbetrag übersteigenden Kosten der beidseitigen Hörgeräteversorgung des Klägers in Höhe von 2.380 €.

Der 1946 geborene Kläger war von April 1966 bis März 1970 als Zeitsoldat in einem Panzerbataillon bei der Bundeswehr, zuletzt im Dienstgrad eines Stabsunteroffiziers. Im November 1971 und August 1975 nahm er zudem an jeweils mehrwöchigen Wehrübungen teil. Im Anschluss an seinen militärischen Dienst war er beruflich als Versicherungskaufmann tätig. Er ist Mitglied der Kaufmännischen Krankenkasse - KKH, der späteren Beigeladenen.

Nachdem der Kläger am 15. September 1976 einen Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung gestellt hatte, holte das Versorgungsamt R. ein Hals-, Nasen-, und Ohren (HNO)-ärztliches Gutachten bei Dr. P. ein. Nach der ambulanten Untersuchung des Klägers am 12. Juli 1977 führte dieser aus, nach den Aktenunterlagen und seiner Untersuchung führe er eine geringgradige Schallempfindungshochtonschwerhörigkeit beiderseits auf den Wehrdienst zurück. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 15 vom Hundert (v. H.). Der Kurvenverlauf im Audiogramm habe eine praktisch symmetrische Innenohrhochtonschwerhörigkeit beiderseits gezeigt. Der Steilabfall der Knochen- und Luftleitungskurven habe bei etwa 2.000 Hz gelegen, mit einem Maximum bei der C5-Senke. Für die Luftleitung habe sich ein Hörverlust von 80 dB beiderseits ergeben, für die Knochenleitung von 50 dB beiderseits. Ab 5.792 Hz hätten sich für beide Ohren keine Knochenleitungskurven mehr darstellen lassen. Mit Bescheid vom 30. August 1977 erkannte das Versorgungsamt Rottweil daraufhin eine geringgradige Schallempfindungsschwerhörigkeit beiderseits als Wehrdienstbeschädigungsfolge an. Anspruch auf Heilbehandlung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) bestehe frühestens ab 1. Juli 1976.

Am 28. Dezember 2006 teilte der Kläger dem Landratsamt T. telefonisch mit, die bei ihm bestehende Schwerhörigkeit habe sich verschlechtert, weshalb er einen Verschlimmerungsantrag stellen möchte. Er bitte um Zusendung des entsprechenden Antragsvordruckes. Weiter äußerte er, dass er ein Hörgerät benötige. Am 16. Januar 2007 machte er mit dem ihm übersandten Vordruck eine Verschlechterung geltend.

In der Folgezeit befragte das Landratsamt T. den Arzt für HNO-Heilkunde Dr. G., welcher im Februar 2007, unter Vorlage eines Tonaudiogrammes, kundtat, der Kläger habe sich erstmals Anfang November 2006 bei ihm vorgestellt. Er leide an einer beidseitigen Schallempfindungsschwerhörigkeit. Im Tonschwellenaudiogramm hätten sich rechts ein Schwellenkurvenverlauf zwischen 10 dB und 50 dB und links zwischen 10 dB und 65 dB sowie deckungsgleiche Luft- und Knochenleitungskurven gezeigt. Die sprachaudiometrische Untersuchung sei am 14. Dezember 2006 erfolgt, wonach sich, bezogen auf das 50 %ige Zahlwortverständnis, ein Hörverlust von 20 dB rechts und 15 dB links gezeigt habe. Die Einsilberverständlichkeit bei 65 dB habe beidseits bei 80 % gelegen. Eine binaurale Hörgeräteversorgung sei eingeleitet worden.

Nach der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. G. von April 2007 habe sich beim Vergleich der Tonaudiogramme von Ende August 1975 und Anfang November 2006 unter Berücksichtigung der Beschreibung des Tonaudi...

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