Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Mehrbedarf. unabweisbarer besonderer Bedarf. keine Übernahme von Kosten für die Anschaffung eines Therapie-/Begleithundes sowie von Haltungskosten. Verfassungsmäßigkeit des Regelbedarfs für Alleinstehende
Leitsatz (amtlich)
1. Die Hundehaltung gehört nicht zu dem vom SGB II zu gewährleistenden Existenzminimum.
2. Das SGB II sieht auch keine Rechtsgrundlage für einen Mehrbedarf wegen Tierhaltung vor. Allein der Umstand, dass die Haltung eines Hundes eine Art sozialer Unterstützung bzw Familienersatz bieten und für die Aufrechterhaltung einer Tagesstruktur hilfreich sein kann, begründet keinen unabweisbaren, besonderen Bedarf im Sinne des § 21 Abs 6 SGB II.
Orientierungssatz
Der Senat teilt die Auffassung, dass der Gesetzgeber den in §§ 19, 20 SGB 2 geregelten Regelbedarf nicht in verfassungswidriger Weise zu niedrig bemessen hat.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 4. Juli 2022 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Klägers sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von dem Beklagten die Übernahme von Kosten in Höhe von 2.000,00 € für die Anschaffung eines Therapie-/Begleithundes sowie die Übernahme monatlicher Kosten von 200,00 € für Futter, medizinische Grundversorgung, Versicherung und Steuer.
Der 1962 geborene Kläger, der im EDV-Bereich als Programmierer und Elektroniker bis 2008 selbstständig tätig war, bezieht seit 2005 vom Beklagten Arbeitslosengeld II als laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) einschließlich Kosten für Unterkunft und Heizung. Für den Bewilligungszeitraum Oktober 2021 bis September 2022 bewilligte der Beklagte dem Kläger ausweislich des Bewilligungsbescheides vom 17.09.2021 Leistungen in Höhe von monatlich 940 € (Regelbedarf 446 €, Kosten der Unterkunft und Heizung 494 €).
Mit Schreiben vom 21.03.2022 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die Übernahme von Kosten für ein Therapie-Haustier (spezieller Begleithund). Der Staat habe ihn in der Pandemie durch ständige Lockdowns, Ausgangssperren und fehlende soziokulturelle Angebote so isoliert, dass er einen seelischen Schaden davongetragen habe. Er wolle in einer selbstbestimmten Tier-Therapie diese Schäden kompensieren und heilen. Die positive und heilende Wirkung von Tieren sei wissenschaftlich bewiesen und bedürfe keines weiteren Beweises. Die Kosten lägen bei ca. 200,00 € pro Monat für Futter, medizinische Grundversorgung, Versicherung und Steuer. Hinzu kämen einmalige Anschaffungskosten von ca. 2.000,00 € für einen geeigneten Therapiehund. Es sei von einer medizinischen Therapiedauer auf Lebenszeit auszugehen, die er gemäß dem Grundgesetz selbst wählen/gestalten/bestimmen dürfe.
Mit Bescheid vom 24.03.2022 lehnte der Beklagte den Antrag unter Verweis auf § 24 SGB II ab.
Hiergegen erhob der Kläger am 31.03.2022 Widerspruch. Der Textbaustein-Ablehnungsbescheid des Beklagten sei soziologisch/medizinisch unbegründet und verfassungswidrig. Zur weiteren Begründung führte er aus, die Fürsorgebehörde sei dafür zuständig, die Teilhabe und soziale Integration insbesondere während der Corona-Pandemie individuell so zu erbringen, dass die Folgen (Isolation/Ausgangssperre) und noch zu erwartende Folgen (weiterer Corona-Mutationen) langfristig kompensiert werden könnten. Gleiches gelte auch für die derzeitige Kriegsgefahr/Krisensituation mit allen damit verbundenen Gefahren und Kostenexplosionen. Die Wirksamkeit von Tier-Therapien und Begleithunden sei wissenschaftlich und medizinisch bekannt und belegt. Für solche Sonderleistungen sei weder der Regelsatz ausreichend, noch könne der Beklagte die Fürsorgepflicht auf Dritte abwälzen. Da er schon früher einen Begleithund gehabt habe, könne er die Wirksamkeit für diesen unabweisbaren Sonderbedarf belegen. Im Übrigen könne er nicht erkennen, was die Covid-Pandemie und die damit verbundenen o.g. Sonderleistungen mit § 24 SGB II zu tun haben sollten und welche soziologischen und psychologischen Fachgründe zur Ablehnung seines Antrags geführt hätten.
Der Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 07.04.2022 als unbegründet zurück. Der Beklagte sei nicht für eine Heilbehandlung des Klägers zuständig. Ein Leistungsanspruch bestehe weder aus § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II noch aus § 21 Abs. 6 SGB II. Die Sonderbedarfe nach § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II würden nur übernommen, soweit keine vorrangige Leistungsverpflichtung der Krankenkasse in Betracht komme. Bei Leistungen, bei denen Streit darüber bestehe, ob sie von den Krankenkassen erbracht werden müssten, gelte, dass Kosten für neue Behandlungsmethoden, die der Gemeinsame Bundesausschuss von der Verordnung zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen habe oder für die es an einer positiven Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses fehle, auch nicht über § 21 Abs. 6 SGB II oder § 24 SGB II beansprucht ...