Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren
Leitsatz (amtlich)
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren kann schon wegen der Höhe der Erstattungsforderung zu bejahen sein (hier: 154714 €), wenn es um Abrechnungsfragen geht, die über die routinemäßige Handhabung des Gebührenkatalogs hinausgehen.
Orientierungssatz
Aktenzeichen beim BSG: B 6 KA 73/10 B
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 30.10.2009 aufgehoben. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 4.7.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5.3.2008 verurteilt, die Zuziehung des Bevollmächtigten für das Widerspruchsverfahren gegen ihren Bescheid vom 18.4.2006 für notwendig zu erklären.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.
Der Streitwert wird (auch) für das Berufungsverfahren auf 5.000 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren.
Der Kläger ist als Radiologe und Nuklearmediziner zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Unter dem 18.4.2006 erließ die Beklagte einen Bescheid über die sachlich-rechnerische Berichtigung der Honorarabrechnungen des Klägers für die Quartale 1/03 bis 4/04. Dem Kläger wurde aufgegeben, Honorar in Höhe von 154.714,43 € zurückzuzahlen. Zur Begründung führte die Beklagte aus, der Ansatz näher bezeichneter Gebührennummern des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM 96; Geb.-Nrn. 5095, 5160 und 6050) entspreche nicht der Leistungslegende (Nr. 5095: Röntgenuntersuchung natürlich oder krankhaft entstandener Gangsysteme, Höhlen oder Fisteln, z.B. Sialographie, Galaktographie, Kavernosographie, Vesikulographie, retrograde Urographie; Nr. 5160: Durchleuchtungen, BV/TV; Nr. 6050: Einbringung des Kontrastmittels in ein Gelenk oder zur Röntgendarstellung natürlicher oder fehlerhaft entstandener Gänge, Gangsysteme, Höhlen oder Fisteln, ggf. intraoperativ, zusätzlich zu den Leistungen nach den Nrn. 5036,5037,5081,5082,5083 oder 5095). Die in Rede stehenden Gebührennummern könnten nur bei diagnostischen Untersuchungen abgerechnet werden. Die Behandlungsweise des Klägers stelle eine diagnostische Untersuchung jedoch nicht dar. Sein Vorgehen umschreibe die Kontrolle der Nadellage sowie weitere Darstellungen, die zur Durchführung der Radiosynoviorthese notwendig seien. Damit habe der Kläger die Leistungen zum einen in ihrem Einsatzzweck fehlangewendet; zum anderen hätten sie nach den allgemeinen Bestimmungen des EBM ohnehin nicht zusätzlich zur Geb.-Nr. 7070 (Radiosynoviorthese oder Behandlung von Geschwülsten und/oder Geschwulstmetastasen in einer Körperhöhle oder einem Hohlorgan, einschl. der erforderlichen Kontrollmessungen) abgerechnet werden dürfen.
Der Kläger beauftragte einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen. Dieser erhob namens und in Vollmacht des Klägers (Vollmacht vom 28.3.2006) mit Schriftsatz vom 16.5.2006 Widerspruch gegen den Bescheid der Beklagten vom 18.4.2006; eine Widerspruchsbegründung legte er nicht vor.
Mit Schreiben (ebenfalls) vom 16.5.2006 legte der Kläger der Beklagten unter Bezugnahme auf ein mit ihr geführtes Telefongespräch einen Schriftsatz vor, der in einem hinsichtlich der streitigen Fragen nach Auffassung des Klägers vergleichbaren Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Düsseldorf zwischen Radiologen und der KV N. von einem anderen Rechtsanwalt verfasst worden war. Außerdem erläuterte er sein Behandlungs- und Abrechnungsverhalten.
Mit Bescheid vom 4.7.2006 half die Beklagte dem Widerspruch des Klägers ab. Die Abrechenbarkeit der Geb.-Nrn. 5095,5160 und 6050 EBM 96 neben der Leistung nach Geb.-Nr. 7070 EBM 96 sei nicht ausgeschlossen. Man habe den Sachverhalt der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zur Stellungnahme vorgelegt. Zu Gunsten des Klägers könne davon ausgegangen werden, dass unter Würdigung der Abrechnungsmodalitäten nach dem EBM 96 die Berechnung der Geb.-Nrn. 5095,5160 und 6050 neben der Geb.-Nr. 7070 EBM 96 nicht explizit ausgeschlossen gewesen sei. Die Leistung nach Geb.-Nr. 7070 EBM 96 umfasse laut Leistungslegende ausschließlich nur die erforderlichen Kontrollmessungen. Den Formulierungen des EBM 96 könne nicht entnommen werden, dass eine vor der eigentlichen Radiosynoviorthese durchgeführte Kontrastdarstellung der Gelenke Bestandteil der Radiosynoviorthese sei. Pro medico werde daher der Ansatz der in Rede stehenden Geb.-Nrn. neben der Leistung nach Geb.-Nr. 7070 EBM 96 anerkannt.
Die Beklagte übernahm die Kosten des Widerspruchsverfahrens, erklärte die Hinzuziehung des Bevollmächtigten für das Widerspruchsverfahren jedoch für nicht notwendig. Zur Begründung führte sie aus, der Bevollmächtigte des Klägers habe eine Stellungnahme nicht abgegeben. Außerdem sei der Sachverhalt lediglich medizinisch zu beurteilen gewesen.
Der Kläger legte (über seinen Bevollmächtigten) Widerspruch ein (Widerspruch...