Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Erhöhung der Verletztenrente. früherer Vergleich hinsichtlich der MdE-Höhe. späteres Heraufsetzungsverfahren nach § 48 SGB 10. Änderung der tatsächlichen Verhältnisse. Vergleichsmaßstab. keine grundsätzliche Beschränkung auf § 59 SGB 10
Leitsatz (amtlich)
1. Haben sich Versicherter und Unfallversicherungsträger durch Vergleich auf eine bestimmte MdE geeinigt, so ist diese der Vergleichsmaßstab für spätere Herab- oder Heraufsetzungsverfahren nach § 48 SGB X.
2. Ein Versicherter kann die Erhöhung einer auf Grund eines Vergleichs bewilligten Verletztenrente nach § 48 SGB X verlangen. Er ist bei einer Erhöhung für die Zukunft wegen veränderter Umstände grundsätzlich nicht auf § 59 SGB X beschränkt.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 26. Oktober 2015 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Gewährung einer auf Grund eines Vergleichs zuerkannten Verletztenrente nach einer höheren Minderung der Erwerbstätigkeit (MdE) als damals zu Grunde gelegt worden war.
Die 1959 geborene Klägerin war im Jahre 2006 für 20 Stunden die Woche in der Endfertigung eines Unternehmens für Blechverarbeitung und daneben auf geringfügiger Basis für 12,5 Stunden wöchentlich als Verkäuferin in einem Lebensmitteleinzelhandelsmarkt beschäftigt. In ihrer Nebentätigkeit war sie bei einer Rechtsvorgängerin der beklagten Berufsgenossenschaft (im Folgenden einheitlich: Beklagte) gesetzlich unfallversichert. Am Morgen des 21. Oktober 2006 fuhr sie auf ihrem Motorroller von ihrer Wohnung zu dem Lebensmittelmarkt. An einer Straßeneinmündung außerorts nahm ein Pkw-Fahrer der Klägerin die Vorfahrt. Die Fahrzeuge stießen zusammen. Die Klägerin wurde von dem Roller geschleudert und stürzte. Dabei trug sie einen Motorradhelm. Körperlich erlitt die Klägerin bei dem Unfall im Wesentlichen einen Oberschenkel-, Schienbein- und Wadenbeinbruch des rechten Beins sowie ausgedehnte Weichteilverletzungen am rechten Unterschenkel. Die Verletzungen wurden in der Folgezeit zu Lasten der Beklagten operativ versorgt, wobei auch Hauttransplantationen zu Gunsten des Unterschenkels durchgeführt wurden (Zwischenbericht des Universitätsklinikums F. vom 20. November 2006). Die Klägerin bezog Verletztengeld von der Beklagten bis zum 22. Juli 2008.
Vom 17. November bis zum 22. Dezember 2006 absolvierte die Klägerin eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in den M.-Kliniken Bad K.. In dem Abschlussbericht dieser Klinik vom 3. Januar 2007 sind unter anderem als “unfallunabhängige Diagnosen„ eine Otitis media (Mittelohrentzündung) bei mesotympanalem (eitrigem) Trommelfelldefekt, eine akute Belastungsreaktion (codiert mit “F43„ nach der ICD-10 GM, der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, hrsg. von der Weltgesundheitsorganisation WHO, Deutsche Fassung, 10. Aufl. 2016) und ein Z.n. (Zustand nach) pseudomembranöser Colitis (antibiotika-assoziierte Entzündung der Darmschleimhaut), aktuell saniert, genannt. Ein neurologisches Konsil hatte “keine sicheren Hinweise für eine Läsion des N. peronaeus rechts„ ergeben. Psychiatrischerseits bestehe ein V.a. (Verdacht auf) eine leichte depressive Episode.
In der Folgezeit verzögerte sich die Heilung, insbesondere die Durchbauung der Knochenstrukturen im Bereich der Frakturen (Berichte des Universitätsklinikums F. vom 20. März 2007 und 19. Juni 2007). Die Klägerin absolvierte umfangreich und langwierig Physiotherapie, in dieser Zeit berichteten die behandelnden Ärzte des Reha-Zentrums “R.„ regelmäßig und gaben dabei die jeweiligen Bewegungsmaße u.a. für das rechte obere und untere Sprunggelenk an.
Bereits Mitte Oktober 2007 hatte sich die Klägerin wegen psychischer Probleme auf Grund des Unfalls bei der Psychiaterin und Psychotherapeutin Dr. K. vorgestellt. Die Beklagte bewilligte zunächst sechs probatische Therapiesitzungen. Danach attestierte Dr. K. eine Traumafolgestörung (in Form einer) posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), differenzialdiagnostisch eine anhaltende depressive Reaktion im Rahmen einer Anpassungsstörung und setzte die Behandlung “weitmaschig„ fort. Da keine Besserung eintrat, wurde die ambulante Therapie auf Grund einer Empfehlung des Beratungsarztes der Beklagten, Dr. M., vom 17. März 2008 laufend fortgesetzt.
Zwei stufenweise Wiedereingliederungen bei der Hauptarbeitgeberin der Klägerin im Sommer 2007 und im Spätwinter 2008 scheiterten. Anfang 2008 beantragte die Klägerin bei der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Baden-Württemberg Erwerbsminderungsrente.
Nachdem keine Besserung eintrat, regte die Beklagte auf eine Empfehlung des behandelnden Arztes Dr. K. eine stationäre Behandlung an. Hierauf teilte Dr. K. unter dem 25. März 2008 mit, das Schreiben der Beklagten habe die Klägerin in innere Alarmbereitschaft versetzt und panikartige Ängste mit affektiven Zusammenbrüchen ein...