Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Sonderrechtsnachfolge. Ausschluss der Rechtsnachfolge gem § 59 S 2 SGB 7. nicht anhängiges Verwaltungsverfahren. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch. keine Fiktion des maßgeblichen Beginns eines Verwaltungsverfahrens. zurechenbare behördliche Pflichtverletzung. Verletzung der ärztlichen Anzeigepflicht bei Berufskrankheiten gem § 202 S 2 SGB 7. keine behördliche Funktionseinheit. meldepflichtiger Arzt. Unfallversicherungsträger. Wille des Versicherten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Durch den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch kann der für einen Ausschluss der Rechtsnachfolge iS des § 59 S 2 SGB 1 ggf maßgebliche Beginn eines Verwaltungsverfahrens nicht fingiert werden, da es auf die tatsächlichen Gegebenheiten im Zeitpunkt des Todes des Berechtigten ankommt.

2. Auch bei Annahme des grundsätzlichen Eingreifens des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs lässt sich dieser nicht auf eine auf Wunsch des Berechtigten unterbliebene Berufskrankheitenanzeige (§ 202 S 1 SGB 7) der behandelnden Ärzte stützen, da deren Handeln nicht den Unfallversicherungsträgern im Sinne einer funktionellen Einheit zuzurechnen ist.

 

Orientierungssatz

1. Soweit der 8. Senat des BSG mit Urteil vom 8.10.1998 (Az: B 8 KN 1/97 U R = BSGE 83, 30 = SozR 3-5670 § 5 Nr 1) dagegen bei einer unterbliebenen rechtzeitigen ärztlichen Meldung eines Berufskrankheitenverdachts unter Heranziehung des von der Rechtsprechung entwickelten sog sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs die Möglichkeit bejaht, die nach § 56 Abs 1 S 1 SGB I als Sonderrechtsnachfolger in Betracht kommenden Personen so zu stellen, als wäre die Meldung rechtzeitig erfolgt und ein Verfahren anhängig geworden, überzeugt dies nicht.

2. Der Amtsermittlungsgrundsatz gem § 20 SGB 10 begründet erst Pflichten des Sozialleistungsträgers innerhalb begonnener Verfahren. Er betrifft dagegen nicht die Frage, ob ein Verwaltungsverfahren durchzuführen ist.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 23.06.2020; Aktenzeichen B 2 U 5/19 R)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 28. März 2018 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Gewährung von Geldleistungen nach ihrem verstorbenen Ehemann (im Weiteren: der Versicherte).

Die Klägerin und der Versicherte waren bis zu dessen Tod verheiratet und lebten in einem gemeinsamen Haushalt mit ihren drei minderjährigen Kindern (Jahrgang 2003, 2005 und 2008). Der am xx. xx 1964 geborene Versicherte war von Beruf Architekt. Bereits als Schüler und später als Student arbeitete er mehrere Wochen im Jahr ab 1980 bei den bei der B.B., bzw. deren Rechtsvorgängerinnen, veranlagten Unternehmen G. Zimmerei und G. Fertighaus. Hierbei führte er Arbeiten aus, in deren Zuge auch Asbestzement- und Eternitplatten entfernt, zerstört, zugeschnitten und neu angebracht wurden. Nach Tätigkeiten für bzw. in Architekturbüros von 1992 bis 1994 ohne bekannten Asbestkontakt war der Kläger als Entwurfsarchitekt für die Firma IFB Dr. B. AG von 1994 bis 1999 tätig. Dieses Beratungs- und Managementunternehmen ist Mitglied der Beklagten. Die Aufgabe des Versicherten bestand überwiegend in der Planung von Bauvorhaben in den neuen Bundesländern. Hierbei war er auch für die Vorplanung der Sanierungsmaßnahmen am sogenannten Robotron-Gebäude in L. zuständig. Dort wurden verschiedentlich Probeöffnungen in den Wänden angebracht, um die Asbestbelastung feststellen zu können. Der Versicherte hatte dabei u. a. die Aufgabe, offengelegte asbestbelastete Stellen zu begutachten. Von 1999 an war der Kläger selbstständig als Architekt tätig, hierbei war er nicht freiwillig gesetzlich unfallversichert. Zuletzt lagen seine Einkünfte aus der selbständigen Architektentätigkeit vor Steuern und Abgaben bei 236.927 Euro im Jahr 2012, 158.668 Euro im Jahr 2013, 90.046 Euro im Jahr 2014 und 437.260 Euro im Jahr 2015.

Im September 2013 wurde beim Kläger im Bereich der Hoden ein Tumor festgestellt, welcher zunächst als ein Karzinom der Rete testis mit Infiltration des Nebenhodens und des Samenstranges interpretiert wurde (Bericht des Dr. O. vom 2. Oktober 2013). Der Pathologe Prof. Dr. B. bewertete den Tumor als ein epitheloides Mesotheliom mit Infiltration der Lymphgefäße (ICD 10: C45.9, Stadium initial: pT3 L1 R1 G3 R1) bewertete (Bericht vom 7. Oktober 2013). Prof. B. wandte sich zur weiteren Abklärung unter Übersendung histologischer Präparate an die Prof. Dr. T. des Deutschen Mesotheliomregisters beim Institut für Pathologie der R.-Universität B.. Prof. B. führte dabei aus, er favorisiere bei der bisherigen Befundkonstellation eine seltene Manifestation eines malignen Mesothelioms der Tunica vaginalis. Nach der Bildgebung lägen bereits paraaortale abdominelle Lymphknoten und auch Mikrometastasen in der Lunge vor. Bemerkenswert sei, dass der Versicherte als Architekt beruflich tätig sei, möglicherweise bestehe ei...

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