Leitsatz (amtlich)
1. Die Ablehnung von Leistungsanträgen auf Kurzarbeitergeld wird gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens über die Aufhebung der Feststellung, dass ein erheblicher Arbeitsausfall vorliegt und die betrieblichen Voraussetzungen erfüllt sind, soweit beide Verwaltungsakte denselben Zeitraum betreffen.
2. Der nach § 325 Abs. 3 SGB III erforderliche Antrag auf Kurzarbeitergeld wird als empfangsbedürftige öffentlich-rechtliche Willenserklärung erst in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er der Bundesagentur für Arbeit zugeht. Der Antragsteller trägt ohne Rücksicht auf ein etwaiges Verschulden das volle Übermittlungsrisiko der Postbeförderung. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die Ausschlussfrist des § 325 Abs. 3 SGB III kommt nicht in Betracht.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 04.05.2022 abgeändert und der Bescheid der Beklagten vom 25.01.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.02.2021 aufgehoben. Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Aufhebung eines Bescheids über die Anerkennung einzelner Voraussetzungen von Kurzarbeitergeld (Kug) für die Zeit ab 01.05.2020 und um die Gewährung von Kug für die Monate Mai, Juni und Juli 2020.
Die Klägerin ist eine GmbH, die in E1 eine Kinderkrippe und eine Kindertagesstätte betreibt. Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 3 der Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-Cov-2 (Corona-Verordnung) vom 17.03.2020 in der Fassung der Fünften Verordnung der Landesregierung zur Änderung der Corona-Verordnung vom 17.04.2020 und gemäß § 1a Nr. 2 der Corona-Verordnung vom 09.05.2020 in der Fassung der Dritten Verordnung der Landesregierung zur Änderung der Corona-Verordnung vom 09.06.2020 war der Betrieb von Kindertageseinrichtungen im Zeitraum vom 17.03.2020 bis zum Ablauf des 30.06.2020 untersagt. Ausgenommen von der Untersagung waren gemäß § 1 Abs. 4 Satz 1 bzw. § 1b Abs. 2 Corona-Verordnung Kinder in Kindertageseinrichtungen, sofern beide Erziehungsberechtigte oder ein alleinerziehender Elternteil in Bereichen der kritischen Infrastruktur tätig und nicht abkömmlich waren (sog. Notbetreuung). Ab dem 01.07.2020 bestand kein Betriebsverbot von Kindertagesstätten mehr (vgl. § 13 der Corona-Verordnung vom 23.06.2020).
Am 26.03.2020 zeigte die Klägerin der Beklagten Arbeitsausfall für den Monat März 2020 bis voraussichtlich Juni 2020 an. Dabei teilte sie mit, dass in ihrem Betrieb 35 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt seien, kein Betriebsrat vorhanden sei und keine Tarifbindung bestehe. Von Kurzarbeit mit einem Entgeltausfall von mehr als zehn Prozent ihres monatlichen Bruttoentgelts seien im jeweiligen Kalendermonat voraussichtlich 27 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer betroffen.
Mit Bescheid vom 01.04.2020 teilte die Beklagte der Klägerin mit, „dass aufgrund der vorgetragenen und glaubhaft gemachten Tatsachen ein erheblicher Arbeitsausfall vorliegt und die betrieblichen Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld erfüllt sind (§ 99 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch [SGB III]). Kurzarbeitergeld wird deshalb den von dem Entgeltausfall betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Ihres Betriebes, sofern diese die persönlichen Anspruchsvoraussetzungen erfüllen, ab 01.03.2020 für die Zeit des Vorliegens aller Anspruchsvoraussetzungen, längstens jedoch bis 28.02.2021 bewilligt.“ Ferner wies die Beklagte die Klägerin darauf hin, dass Kug gemäß § 104 Abs. 3 SGB III nur nach erneuter Anzeige des Arbeitsausfalls gewährt werden könne, falls seit dem letzten Monat, für den Kug gewährt wurde, drei Monate verstrichen seien. Das Kug sei jeweils für den Kalendermonat zu beantragen. Diese Anträge müssten innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten zur Vermeidung von Rechtsnachteilen bei der Agentur für Arbeit S1 eingereicht werden. Die Ausschlussfrist beginne mit Ablauf des Kalendermonats, für den Kug beantragt werde. Aufgrund von Anträgen, die nach Ablauf der jeweils maßgeblichen Ausschlussfrist bei der Agentur für Arbeit eingingen, könnten keine Leistungen gewährt werden.
Am 04.05.2020 beantragte die Klägerin bei der Beklagten für den Monat April 2020 Kug und pauschalierte Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge für insgesamt 21 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Mit Bescheid vom 10.06.2020 bewilligte die Beklagte der Klägerin für den Monat April 2020 vorläufig Kug in Höhe von 9.773,73 € und pauschalierte Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 8.076,47 €. Entsprechende Leistungsanträge für nachfolgende Kalendermonate gelangten bis zum Ende des Jahres 2020 nicht zu den Akten der Beklagten.
Mit Bescheid vom 25.01.2021 hob die Beklagte ohne vorherige Anhörung der Klägerin den Bescheid vom 01.04.2020 für die Zeit ab 01.05.2020 auf...