Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. psychische Unfallfolge. Kausalität. Theorie der wesentlichen Bedingung. zeitlicher Bezugspunkt. fehlgeschlagene Heilbehandlung. MdE von 20 vH. Anpassungsstörung. chronifizierte Depression. Verlust körperlicher Integrität. PTBS
Leitsatz (amtlich)
Zeitlicher Bezugspunkt für die Entwicklung einer Anpassungsstörung kann auch eine fehlgeschlagene Heilbehandlung sein, also nicht unbedingt der Unfall selbst. Dem Versicherten kann dann nicht entgegen gehalten werden, dass sich die psychischen Unfallfolgen erst zeitlich verzögert entwickelt haben, sondern es ist geradezu symptomatisch, dass erst nach gescheiteter Heilbehandlung mit mehreren Operationen, ambulanten und stationären Maßnahmen sowie letztlich gescheiterten beruflichen Widereingliederungsversuchen feststeht, dass ein Zurück zu dem Leben vor dem Unfall nicht möglich ist. Dass sich der Versicherte an diese Situation letztlich nicht anpassen kann, ist Bezugspunkt der Störung.
Orientierungssatz
1. Zu den Voraussetzungen einer Anpassungsstörung nach ICD-10-GM-2015 F 43.2.
2. Zum Nichtvorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) mangels Vorliegens des C-Kriteriums nach DSM-IV-TR 309.81.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 6. September 2012 aufgehoben, der Bescheid vom 21. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Februar 2010 sowie der Bescheid vom 16. April 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. März 2010 abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger eine höhere Verletztenrente nach einer MdE von 30 v. H. als vorläufige Entschädigung vom 16. Oktober 2007 bis zum 30. November 2008 und ab dem 1. Dezember 2008 auf unbestimmte Zeit zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger als Folge des Arbeitsunfalls vom 08.12.2005 wegen der psychischen Unfallfolgen eine höhere Verletztenrente als vorläufige Entschädigung vom 16.10.2007 bis zum 30.11.2008 und ab dem 01.12.2008 auf unbestimmte Zeit zu gewähren ist.
Der am … 1971 in der Türkei geborene Kläger hat keine abgeschlossene Ausbildung. Er hat in der Türkei im väterlichen Produktionsbetrieb von Süßwaren zunächst mitgearbeitet und nach dessen Tod diesen zunächst weitergeführt. Nach seiner Hochzeit im Jahr 1996 ist er 1997 zu seiner in Deutschland lebenden Ehefrau gezogen, arbeitete zunächst einige Monate als Reinigungskraft und war dann bis ins Jahr 1999 arbeitslos. In den Jahren 1999 bis 2001 war er als Aushilfskraft in einer Möbelfabrik und ab dem 15.03.2001 bei der O. A. GmbH als Metallarbeiter im Presswerk beschäftigt. Seit Anfang des Jahres 2008 ist er von seiner Frau und den Kindern getrennt, die wieder in der Türkei leben. Das Arbeitsverhältnis des Klägers endete aufgrund Aufhebungsvertrag vom 19.12.2007 zum 31.03.2008 und er erhielt eine Abfindung in Höhe von 13.600,- € brutto sowie eine tarifvertragliche Sonderzahlung in Höhe von 1.400,- € brutto, seither ist er arbeitslos. Bei dem Kläger ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 40 festgestellt und dabei die psychischen Störungen jeweils mit einem Teil-GdB von 20, d.h. insgesamt 30 bewertet.
Am 08.12.2005 kippte während der Arbeit des Klägers ein auf einem Gabelstapler geladener Stapel Blechplatinen mit einem Gewicht von etwa 800 kg vom Untergestell und fiel auf sein rechtes Schienbein. Das Bein wurde durch Kollegen mit einem Hebeeisen unter dem Paket befreit. Nach Erstversorgung durch den Notarzt kam der Kläger zunächst in das Kreiskrankenhaus N., von wo er nach Durchführung der Röntgendiagnostik und Anlage einer Unterschenkel-Dynacastschiene unter Ketanest Analgosedierung noch am 08.12.2005 in die Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik T. eingeliefert wurde. Dort wurde eine offene distale Unterschenkeltrümmerfraktur rechts diagnostiziert, eine operative Stabilisierung durch Fixateur externe und Fibulaplattenosteosynthese rechts und geschlossene Marknagelung durchgeführt. Am 23.12.2005 wurde der Kläger entlassen. Die Röntgenkontrollen am 27.01.2006 und 10.03.2006 zeigten eine voranschreitende knöcherne Konsolidierung. Bei der ambulanten Untersuchung am 31.03.2006 wurde eine deutlich verzögerte Knochenbruchheilung diagnostiziert, so dass dem Kläger die Anpassung einer Einsteckschiene für die vorgeschlagene Vollbelastung rezeptiert wurde. Bei der ambulanten Untersuchung am 28.04.2006 zeigte sich eine Schwellung im Bereich des distalen Unterschenkels und Sprunggelenks rechts und ein Druckschmerz im Bereich der Fraktur. Bei freier Beweglichkeit im unteren Sprunggelenk war die Beweglichkeit im rechten oberen Sprunggelenk auf 10/0/30° für Extension/Flexion reduziert. Die Röntgenuntersuchung zeigte weiterhin eine deutlich verzögerte Knochenbruchheilung bei unverändert regelrecht einliegendem Osteosynthesematerial. Aufgrund de...