Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung. Schulassistenz bei Besuch einer Heimsonderschule für Körperbehinderte. Leistungserbringungsrecht. Bestehen einer zivilrechtlichen Schuld des Leistungsberechtigten gegenüber der Schule. Auslegung des Schulvertrages. Reichweite der Leistungs- und Vergütungsvereinbarung
Leitsatz (amtlich)
1. Der Anspruch auf Übernahme einer Vergütung durch den Sozialhilfeträger setzt voraus, dass der Sozialhilfeempfänger dem Leistungserbringer vertraglich überhaupt ein Entgelt schuldet.
2. Eine Vereinbarung nach § 75 Abs 3 SGB XII, die einen bestimmten Leistungstyp erfasst, umfasst auch Leistungsberechtigte mit überdurchschnittlichem Hilfebedarf (sog Systemsprenger).
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 19. Mai 2015 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von dem Beklagten die Übernahme der Kosten für eine “Unterrichtsassistenz„ in der Zeit von September 2011 bis Juni 2017.
Der 2000 geborene Kläger ist körperlich behindert; es besteht eine spinale Muskeldystrophie Typ II mit progredientem Verlauf bereits seit der frühen Kindheit. Der Kläger ist motorisch stark eingeschränkt bei Kontrakturen der oberen und unteren Extremitäten sowie ausgeprägter Kyphoskoliose; zur Fortbewegung ist er auf einen Elektrorollstuhl mit adaptiertem Rücken angewiesen. Die Tastatur eines PC___AMPX_’_SEMIKOLONX___X s oder eines Laptops kann er behinderungsbedingt nicht mehr bedienen. Bei eingeschränkter Kopfkontrolle benötigt der Kläger Unterstützung, wenn der Kopf nach vorne kippt; er kann ihn nicht selbständig heben. Wegen der sehr stark eingeschränkten Muskelkraft im Bereich der Atemmuskulatur muss nachts eine Maskenbeatmung durchgeführt werden. Beim Kläger sind ein Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen “B„, “G„, “aG„, “H„ und “RF„ festgestellt; es besteht Pflegebedürftigkeit nach der Pflegestufe III (jetzt Pflegegrad 5).
In der Zeit von September 2005 bis Juli 2011 besuchte der Kläger teilstationär die D.-Schule in M., eine staatlich anerkannte Ersatzschule in freier Trägerschaft mit Schwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung, zuletzt die 5. Klasse der Hauptschule. Die Kosten für den Besuch der Schule trug auf der Grundlage der mit dem Einrichtungsträger vereinbarten Vergütungssätze anfänglich die Stadt R., sowie - nach einem Umzug des Klägers mit seiner vom Vater zwischenzeitlich getrenntlebenden und später geschiedenen Mutter unter Wohnsitznahme in A. (Landkreis T.) - ab dem 15. Februar 2010 der beklagte Landkreis. Auf Grund ständiger Unterforderung des Klägers in der Hauptschule sowie einer Grundschulempfehlung für den Bildungsgang der Realschule, der an der D.-Schule jedoch nicht angeboten wurde, entschlossen sich die Eltern des Klägers schließlich zu einem Schulwechsel. Sie entschieden sich für eine stationäre Aufnahme in die Realschule der St. H.-Schule in N. (Landkreis R.-Kreis), eine staatlich anerkannte Heimsonderschule für Körperbehinderte in der Trägerschaft der Beigeladenen, ab dem Schuljahr 2011/2012. Zwischen der Beigeladenen und dem R.-Kreis bestehen Vereinbarungen nach § 75 Abs. 3 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII).
Nach einer dreitägigen Probebeschulung des Klägers im Februar 2011 mit Wohnen in deren Internat wandte sich die Beigeladene am 16. März 2011 an den Beklagten mit Blick auf die Übernahme der Unterbringungs- und Heimfahrtkosten und machte ferner geltend, auf Grund der Schwere der Behinderung des Klägers benötige dieser eine Unterrichtsassistenz. Nach ihrer Einschätzung betrage das zeitliche Volumen für die Unterrichtsassistenz in der 5. Klasse der Realschule für den Kläger zwölf Schulstunden pro Woche, was acht Zeitstunden entspreche; ausgehend von 38 Schulwochen (= 304 Stunden) sowie einem Stundensatz von 15,50 Euro ergäben sich dementsprechend jährliche Kosten in Höhe von 4.712,00 Euro, was monatlich 393,00 Euro entspreche. Die Mutter des Klägers beantragte anschließend am 19. März 2011 beim Beklagten Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten für den “Schul- und Wohnheimplatz„ an der St. H.-Schule sowie der Kosten für die Unterrichtsassistenz; da der Kläger auf Grund seiner Muskelkrankheit nur noch in den Fingern der linken Hand etwas Kraft habe, benötige er für alle täglichen und schulischen Situationen ständig Hilfe und Unterstützung. Den Formantrag reichten die Eltern des Klägers am 27. April 2011 ein. Ausweislich der Stellungnahme des Facharztes für Kinder- und Jugendmedizin Z. vom 14. März 2011, gegen die von gesundheitsamtsärztlicher Seite keine Einwände erhoben wurden, wurde ein Hilfebedarf nach der Hilfebedarfsgruppe 2 (HBG 2) befürwortet.
In der Folgezeit stellte das Staatliche Schulamt T. mit Bescheid vom 28. Juni 2011 den Förderbedarf des Klägers an einer Schule für Körperbehinderte mit dem Bildungsgang Realschule sowie im Einvernehme...