Leitsatz (amtlich)

1. Ein Vertrauensschutz auf die so genannte “Kopf und Seele"-Rechtsprechung des BSG scheidet unabhängig von der Frage, ob es sich um eine gefestigte und langjährige Rechtsprechung handelte, aus, wenn nach eigenem Vortrag bereits die Voraussetzungen dieser Rechtsprechung nicht gegeben waren.

2. Es ist widersprüchlich, sich nachträglich auf Vertrauensschutz zu berufen, wenn von der gesetzlichen Möglichkeit des Statusfeststellungsverfahrens nach Gründung der GmbH nicht Gebrauch gemacht wurde.

 

Normenkette

SGB IV § 7 Abs. 1 Sätze 1-2, §§ 7a, 28d S. 1, § 28p Abs. 1 Sätze 1, 4-5; SGB III § 25 Abs. 1 S. 1, § 358 Abs. 1 S. 1 Fassung: 2008-10-30; SGB VI § 1 S. 1 Nr. 1; GmbHG § 6 Abs. 3, § 37 Abs. 1, § 45 Abs. 2, § 46 Nrn. 5-6, § 53 Abs. 2 S. 1; AAG § 7 Abs. 1; BGB §§ 117, 181; GKG § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1, § 63 Abs. 2-3

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 10. Oktober 2017 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf € 200.795,89 festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen einschließlich der Umlagen nach dem Aufwendungsausgleichsgesetz (AAG) und der Mittel für die Zahlung des Insolvenzgeldes, im Folgenden einheitlich Gesamtsozialversicherungsbeiträge, in Höhe von insgesamt € 200.795,89.

Die klagende GmbH betreibt ein Unternehmen zum Handel von Waren und zur Durchführung von Serviceleistungen insbesondere im elektronischen Bereich. Sie wurde durch notariellen Gesellschaftsvertrag vom 12. Januar 2007 (im Folgenden GV) mit einem Stammkapital von € 30.000,00 von den Beigeladenen zu 1 bis 3 als Gesellschafter mit einem jeweiligen Stammkapitalanteil von € 10.000,00 (§ 4 GV) gegründet. Der GV enthielt unter anderem folgende weiteren Bestimmungen:

§ 5 Vertretung und Geschäftsführung

5.1 Die Gesellschaft hat einen oder mehrere Geschäftsführer. Ist nur ein Geschäftsführer bestellt, so vertritt er die Gesellschaft allein.

5.2 Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, so wird die Gesellschaft durch zwei Geschäftsführer gemeinschaftlich oder durch einen Geschäftsführer in Gemeinschaft mit einem Prokuristen vertreten. Durch Gesellschafterbeschluss kann einzelnen Geschäftsführern Einzelvertretungsbefugnis erteilt werden, ebenso kann jeder Geschäftsführer allgemein oder für den Einzelfall von den Beschränkungen des § 181 BGB [Bürgerliches Gesetzbuch] befreit werden.

5.3 Für den Geschäftsführer gilt das uneingeschränkte gesetzliche Wettbewerbsverbot. Er hat sich jeder auf Erwerb gerichteten Tätigkeit auf eigene Rechnung oder für ein Konkurrenzunternehmen zu enthalten.

Die Gesellschafterversammlung kann durch einstimmigen Beschluss einen oder mehrere Geschäftsführer von ihrem Wettbewerbsverbot als Geschäftsführer befreien.

§ 6 Zustimmungsbedürftige Geschäfte

Der oder die Geschäftsführer bedürfen im Innenverhältnis der Zustimmung der Gesellschafterversammlung mit 2/3 der abgegebenen Stimmen in folgenden Fällen:

a) Erwerb, Veräußerung und Belastung von Grundstücken und grundstücksgleichen Rechten

b) Aufnahme und Hingabe von Krediten

c) Wechselbegebung und Verbürgungen

d) Errichtung und Aufgabe von Zweigniederlassungen

e) Bestellung und Abberufung von Prokuristen

f) Versorgungszusagen jeglicher Art

g) Abschluss von Verträgen und Geschäften jeder Art, die im Einzelfall größere Verpflichtungen als € 30.000,00 für die Gesellschaft mit sich bringen oder die Gesellschaft ohne Rücksicht auf den Wert länger als ein Jahr verpflichten

h) Alle Geschäfte, die außerhalb des durch den Gesellschaftszweck bestimmten normalen Geschäftsbetriebs der Gesellschaft liegen.

§ 9 Gesellschafterbeschlüsse

9.1 Die ordentliche Gesellschafterversammlung findet in den ersten sieben Monaten eines jeden Geschäftsjahres statt. Gegenstand der ordentlichen Gesellschafterversammlung ist die Feststellung des Jahresabschlusses und der Ergebnisverwendung und die Entlastung der Geschäftsführung.

9.2 Die Gesellschafterversammlungen werden schriftlich unter Beifügung der Tagesordnung einberufen. ... Jeder Geschäftsführer ist zur Einberufung berechtigt. ...

9.3 Die Gesellschafterversammlung ist beschlussfähig, wenn sie ordnungsgemäß einberufen ist und mindestens 2/3 des Stammkapitals vertreten sind. Wird diese Mehrheit nicht erreicht, so ist innerhalb von 14 Tagen eine zweite Gesellschafterversammlung mit gleicher Tagesordnung einzuberufen. Diese Gesellschafterversammlung ist sodann ohne Rücksicht auf das vertretene Kapital beschlussfähig, wobei auf diese Rechtsfolge in der zweiten Einladung hinzuweisen ist.

9.4 ...

9.5 Gesellschafterbeschlüsse werden mit einfacher Mehrheit der in der Gesellschafterversammlung abgegebenen Stimmen gefasst. Dies gilt nicht, soweit das Gesetz zwingend oder dieser Vertrag ausdrücklich etwas anderes bestimmen. Die Gesellschafter stimmen in allen Angelegenheiten mit ab, soweit nicht § 47 Abs. 4 Gmb...

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