Entscheidungsstichwort (Thema)
Höhe des Kurzarbeitergeldanspruchs. Berechnung. Nettoentgeltdifferenz. Berücksichtigung von pauschalierten Abzügen für Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag. fiktiver Abzug bei echten Grenzgängern bei fehlender Lohnsteuerpflicht im Inland. Verfassungsmäßigkeit. Europarechtskonformität
Orientierungssatz
Auch bei einem echten Grenzgänger, der nicht der Lohnsteuerpflicht im Inland unterliegt, sind bei der Berechnung des Kurzarbeitergeldes gem §§ 105, 106, 153 Abs 1 S 2 SGB 3 die gesetzlich pauschalierten Abzüge fiktiv zu berücksichtigen.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 15.09.2020 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Auszahlung von höherem Kurzarbeitergeld (Kug) für die Monate März und April 2020 ohne eine pauschalierte Berücksichtigung von Lohnsteuer und des Solidaritätszuschlags nach § 153 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 3 SGB III zugunsten einer Grenzgängerin.
Die Klägerin - eine in Deutschland ansässige GmbH - beantragte am 12.03.2020 für die bei ihr beschäftigte Arbeitnehmerin , wohnhaft in R., F., Kug ab dem 01.03.2020.
Mit an die Klägerin gerichtetem Bescheid vom 13.05.2020 bewilligte die Beklagte Kug für den Monat März 2020 in Höhe von 1.656,87 € (abzüglich 646,72 € Sozialversicherungsbeiträgen) und für den Monat April 2020 in Höhe von 1.490,88 € (abzüglich 587,93 € Sozialversicherungsbeiträgen).
Die Klägerin legte hiergegen am 25.05.2020 Widerspruch ein und beanstandete die Höhe des Kug als zu niedrig. Die in F. wohnhafte und in dem Betrieb in Deutschland beschäftigte Arbeitnehmerin werde mit ihren gesamten Einkünften in F. besteuert. Bei der Berechnung der Höhe des Kug dürfe deshalb kein fiktiver Abzug von Steuern berechnet nach der Steuerklasse I vorgenommen werden, da ansonsten eine Doppelbesteuerung vorliege. Dies schließe das Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und Frankreich ausdrücklich aus. Für März seien 141,16 € und für April 143,72 € und somit insgesamt 284,88 € zu wenig bewilligt worden.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24.07.2020 zurück. Das Kug betrage für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die beim Arbeitslosengeld die Voraussetzungen für den erhöhten Leistungssatz erfüllen, 67 Prozent, für die übrigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer 60 Prozent der Nettoentgeltdifferenz im Anspruchszeitraum (§ 105 SGB III). Die Nettoentgeltdifferenz entspreche der Differenz zwischen dem pauschalierten Nettoentgelt aus dem Soll-Entgelt und dem pauschalierten Nettoentgelt aus dem Ist-Entgelt. Soll-Entgelt sei das Bruttoarbeitsentgelt, das die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer ohne den Arbeitsausfall in dem Anspruchszeitraum erzielt hätte, vermindert um Entgelt für Mehrarbeit. Ist-Entgelt sei das Bruttoarbeitsentgelt, das die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer in dem Anspruchszeitraum tatsächlich erzielt habe, zuzüglich aller zustehenden Entgeltanteile. Arbeitsentgelt, das einmalig gezahlt werde, bleibe bei der Berechnung von Soll-Entgelt und Ist-Entgelt außer Betracht. Soll-Entgelt und Ist-Entgelt seien auf den nächsten durch 20 teilbaren €-Betrag zu runden. § 153 SGB III über die Berechnung des Leistungsentgelts beim Arbeitslosengeld gelte mit Ausnahme der Regelungen über den Zeitpunkt der Zuordnung der Lohnsteuerklassen und den Steuerklassenwechsel für die Berechnung der pauschalierten Nettoentgelte beim Kurzarbeitergeld entsprechend (§ 106 Absatz 1 SGB III). Leistungsentgelt sei das um pauschalierte Abzüge verminderte Bemessungsentgelt. Abzüge seien 1. eine Sozialversicherungspauschale in Höhe von 20 Prozent des Bemessungsentgelts, 2. die Lohnsteuer, die sich nach dem vom Bundesministerium der Finanzen auf Grund des § 51 Abs. 4 Nr. la des Einkommensteuergesetzes (EStG) bekannt gegebenen Programmablaufplan bei Berücksichtigung der Vorsorgepauschale nach § 39b Abs. 2 S. 5 Nr. 3 Buchstabe a bis c des EStG zu Beginn des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist, ergibt und 3. der Solidaritätszuschlag (§ 153 Absatz 1 Sätze 1 und 2 SGB III).
Bei Grenzgängern, die auf Grund eines Doppelbesteuerungsabkommens von der Lohnsteuerpflicht in der Bundesrepublik Deutschland befreit sind, liege keine Lohnsteuer nach der Lohnsteuertabelle im Sinne von § 153 Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 SGB III vor. Diese Regelungslücke sei nach Auffassung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales europakonform im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 VO 1612/68 und von Artikel 3 VO 1408/71 zu schließen, d.h., dass Grenzgänger aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Union bei der Bemessung des Kurzarbeitergeldes genauso wie deutsche Arbeitnehmer behandelt werden müssten. Als beschränkt steuerpflichtig i.S. des § 1 Absatz 4 Einkommenssteuergesetz (EStG) würden z.B. Grenzgänger gelten, soweit sie nicht aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens 1. V. m. ...