Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Beweiserhebung. Beweislastumkehr bei Aufhebungs- und Rücknahmeentscheidungen. erschwerte Sachverhaltsaufklärung. Verantwortungssphäre des Leistungsempfängers. Belehrungspflicht über Zeugnisverweigerungsrecht nach § 384 Nr 2 ZPO. Beweisaufnahme in einem nicht öffentlichen Erörterungstermin
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Beweislastumkehr bei Aufhebungs- und Rücknahmeentscheidungen, die auf Umständen beruhen, die in der Sphäre des Leistungsempfängers liegen.
2. Es besteht keine Pflicht des Gerichts, einen Zeugen über sein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 384 Nr 2 ZPO zu belehren.
3. Eine Beweisaufnahme darf auch in einem nicht öffentlichen Erörterungstermin durchgeführt werden.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts K. vom 12. August 2015 abgeändert. Der Bescheid des Beklagten vom 21. Januar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Februar 2014 wird aufgehoben, soweit die Aufhebungen von Leistungsbewilligungen einen Betrag von 154,24 € für April bis Juni 2009, einen Betrag von 1.896,32 € für September 2009 bis Januar 2010 und einen Betrag von 455,26 € für Februar und März 2010 sowie die Erstattungsforderung einen Betrag von 2.505,82 € übersteigen.
Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger 2/5 seiner außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Aufhebung und Rückforderung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für April bis Juni 2009 und September 2009 bis März 2010 in Höhe von insgesamt 4.354,24 €.
Der Kläger ist 1967 geboren und wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getreten; unter anderem wurde er wegen gewerbsmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und anderer Delikte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten verurteilt (Urteil des Amtsgerichts K. vom 15. August 2014 - 2 Ls 650 Js 42323/13). Er war von 2008 bis zum 25. Februar 2010 bei der Firma P. K. Gaststättenbetriebsgesellschaft mbH (im Folgenden: Firma K.), dessen Alleingesellschafter und Alleingeschäftsführer der Zeuge M. K. ist, in einem Selbstbedienungslokal (“W. B.„) in K. beschäftigt. Er hatte im streitgegenständlichen Zeitraum einen Bedarf für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 467,89 € (bis Juni 2009) bzw. 467,38 € (ab Juli 2009).
Der Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 26. Februar 2009 Leistungen für Februar 2009 (545,46 €) sowie für März 2009 bis Juli 2009 in Höhe von 497,46 € monatlich. Mit Änderungsbescheid vom 5. März 2009 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen für Februar bis Juli 2009 in Höhe von 818,89 € monatlich und berücksichtigte bei der Berechnung des Anspruchs Einkommen des Klägers entsprechend seinen Angaben in Höhe von monatlich 100,00 €, so dass sich nach Abzug des Grundfreibetrages kein anzurechnendes Einkommen ergab.
Auf den Weiterbewilligungsantrag des Klägers bewilligte der Beklagte ihm mit Bescheid vom 3. August 2009 Leistungen für August 2009 bis Januar 2010 in Höhe von 826,38 € monatlich. Er berücksichtigte auch hierbei - wiederum entsprechend den Angaben des Klägers - monatliches Einkommen des Klägers in Höhe von 100,00 €, so dass sich nach Abzug des Grundfreibetrages weiterhin kein anzurechnendes Einkommen ergab.
Am 15. Januar 2010 beantragte der Kläger die Weiterbewilligung von Leistungen nach dem SGB II bei dem Beklagten. Er gab an, Einkommen zu erzielen und fügte die Lohnabrechnung vom 1. Dezember 2009 für November 2009 bei, in der ein Lohn von 160,00 € ausgewiesen ist. Der Beklagte bewilligte ihm mit Bescheid vom 21. Januar 2010 Leistungen für Februar bis Juli 2010 in Höhe von monatlich 826,38 €. Auch hier berücksichtigte er Einkommen des Klägers in Höhe von 100,00 €, so dass sich nach Abzug der Freibeträge kein anzurechnendes Einkommen ergab. Mit Änderungsbescheid vom 28. Januar 2010 bewilligte er dem Kläger Leistungen für März bis Juli 2010 in Höhe von 778,38 € und berücksichtigte hierbei Einkommen des Klägers in Höhe von 160,00 € monatlich (nach Abzug der Freibeträge: 48,00 €). Mit Änderungsbescheid vom 17. Mai 2010 bewilligte der Beklagte dem Kläger unter anderem Leistungen für März 2010 in Höhe von 799,72 €, wobei er Einkommen des Klägers in Höhe von 133,33 € (nach Abzug der Freibeträge: 26,66 €) berücksichtigte.
Am 16. Dezember 2009 ging beim Hauptzollamt K. ein anonymes Schreiben ein, in dem ausgeführt wird, dass ein Mann mit dem Vornamen des Klägers bei der Firma K. arbeite und zwar über ein Jahr praktisch jeden Tag in der Nachtschicht von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr morgens, also acht Stunden am Tag für einen Stundenlohn von 8,00 €, also ca. 1.500,00 € im Monat. Dieser Betrag werde ihm in bar ausbezahlt. Angemeldet sei die Tätigkeit als Minijob für 80,00 € im Monat. Hinzu komme, dass diese Person viele Leistungen wie Arbeitslosengeld,...