Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. pflichtversicherter Rentner. Nachweis über erzieltes Arbeitseinkommen bzw Änderung des Arbeitseinkommens bei nebenberuflicher selbstständiger Erwerbstätigkeit. Hinweis- und Beratungspflicht des Sozialversicherungsträgers
Leitsatz (amtlich)
Der Nachweis, wie erzieltes Arbeitseinkommen bzw Änderungen bei pflichtversicherten Rentnern, die nebenberuflich selbstständig erwerbstätig sind, zu führen ist, erfolgt nicht nach § 240 SGB V bzw den Beitragsverfahrensgrundsätzen Selbstzahler, da diese Regelungen nur für den Bereich der freiwilligen Versicherung anwendbar sind und auf in der KVdR versicherte Rentner weder direkt noch analog heranzuziehen sind. Maßgebend sind vielmehr die allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts, nach denen die Höhe des Arbeitseinkommens erst nach Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres feststeht. Die im Hinblick auf die Fälligkeitsregelung des § 23 SGB IV vorzunehmende Schätzung des Arbeitseinkommens hat deswegen anhand des aktuellsten Einkommensteuerbescheides zu erfolgen, wobei eigene Angaben des Versicherten zu berücksichtigen sind, soweit diese durch entsprechende Umsetzungen des Finanzamts, z.B. durch die Herabsetzung der quartalsmäßig zu entrichtenden Vorauszahlungen nach § 37 Abs 3 S 2 EStG, tragfähig sind.
Orientierungssatz
Eine umfassende Beratungspflicht des Sozialversicherungsträgers besteht regelmäßig bei einem entsprechenden Beratungs- und Auskunftsbegehren des Versicherten. Ausnahmsweise besteht jedoch auch dann eine Hinweis- und Beratungspflicht des Versicherungsträgers, wenn anlässlich einer konkreten Sachbearbeitung dem jeweiligen Mitarbeiter eine naheliegende Gestaltungsmöglichkeit ersichtlich ist, die ein verständiger Versicherter wahrnehmen würde, wenn sie ihm bekannt wäre (sog Spontanberatung). Die Frage, ob eine Gestaltungsmöglichkeit klar zutage tritt, ist dabei alleine nach objektiven Merkmalen zu beurteilen (vgl BSG vom 8.2.2007 - B 7a AL 22/06 R = BSGE 98, 108 = SozR 4-4300 § 324 Nr 3).
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgericht Reutlingen vom 08.03.2017 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der vom Kläger ab dem 01.01.2016 zu entrichtenden Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung streitig.
Der im Jahr 1946 geborene Kläger ist seit 14.01.2010 bei der Beklagten zu 1) in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) kranken- und bei der Beklagten zu 2) pflegeversichert. Neben einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung verfügte der Kläger über laufende Versorgungsbezüge der A-AG i.H.v. 54,54 € monatlich und Versorgungsbezüge der H. L. AG, die ihm kapitalisiert i.H.v. 25.459,16 € ausbezahlt worden sind. Daneben erzielte er Einkünfte aus Gewerbetrieb nach einer nebenberuflich ausgeübten Tätigkeit als Prüfingenieur sowie aus einer selbstständigen Tätigkeit als KfZ-Sachverständiger. Die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung aus dem kapitalisiert ausbezahlten Versorgungsbezug und den Erwerbseinkünften sind vom Kläger selbst gezahlt worden, die Beiträge aus der gesetzlichen Rente und dem laufenden Versorgungsbezug wurden vom Rentenversicherungsträger bzw. der A-AG direkt abgeführt.
Mit Bescheid vom 06.03.2014 setzte die Beklagte zu 1), auch namens der Beklagten zu 2), die Beiträge aus den Erwerbseinkünften und betr. die kapitalisiert ausbezahlten Versorgungsbezüge zur Krankenversicherung ab dem 01.02.2014 auf monatlich 279,34 € und zur Pflegeversicherung auf 36,95 € (insg. 316,29 € monatlich) fest. Sie legte hierbei die im Einkommenssteuerbescheid für das Veranlagungsjahr 2012 ausgewiesenen Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit i.H.v. 1.590,08 € monatlich sowie einen Betrag von 212,16 € (1/120 der Auszahlungssumme im Zeitraum vom 01.04.2011 - 31.03.2021) monatlich betr. die kapitalisiert ausbezahlten Versorgungsbezüge zu Grunde. Wegen der Erhebung eines Zusatzbeitrages von 1 % zur Krankenversicherung erhöhte sich der vom Kläger insg. zu tragende Betrag ab dem 01.01.2016 bei unverändert berücksichtigten Einkünften von insg. 1.802,24 € auf 323,51 € monatlich (Bescheid vom 18.12.2015).
Unter dem 12.01.2016 beantragte der Kläger eine Neuberechnung der ab 2016 anfallenden Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung. Er führte hierzu aus, der Überschuss aus der nebenberuflichen Gutachtertätigkeit habe im Jahr 2014 11.725,- € betragen. Zum 31.12.2015 habe er seine nebenberufliche Tätigkeit als Prüfingenieur beendet, weswegen sein Einkommen um 11.000,- € sinke. Aus der selbstständigen Tätigkeit als Kfz-Sachverständiger werde er im Jahr 2016 einen Erlös von ca. 8.000,- € erzielen, der, bei einer unveränderten Kostensituation, zu einem Überschuss von 0,- € führe. Hierzu wurde eine vom Steuerberater des Klägers erstellte Gewinn- und Verlustrechnung für das Jahr 2014 vom 22.12.2015 vorgelegt.
Mit Bescheid vom 10.02.2016 lehnte die Beklagte zu...