Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitunfall. haftungsbegründende Kausalität. Theorie der wesentlichen Bedingung. Konkurrenzursache. Anlageleiden. Alltagsbelastung. Gelegenheitsursache. Bizepssehnenruptur. Glaser

 

Leitsatz (amtlich)

Das berufsbedingte Anheben einer (anteiligen) Last von 30 kg ist nicht wesentlich kausal für den Riss der distalen Bizepssehne an einem Arm. (Ob bei dem physiologisch ungestört ablaufenden Hebevorgang vorliegend bereits ein von außen einwirkendes Unfallereignis verneint werden kann, bleibt dahingestellt).

 

Orientierungssatz

1. Zur Kausalitätsbewertung in der gesetzlichen Unfallversicherung im Rahmen der haftungsbegründenden und haftungsausfüllenden Kausalität.

2. Maßgebend zur Bewertung einer Alltagsbelastung ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats nicht das Unfallereignis als solches (zB die Tatsache eines Sturzes etc) bzw der generell zum Tragen gekommene Kraftaufwand, sondern die Intensität der Einwirkungen auf das verletzte Organ (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl stellvertretend Urteil des Senats vom 1.7.2011 - L 8 U 197/11 = NZS 2011, 712).

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 27. Januar 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger einen Arbeitsunfall erlitten hat.

Der 1966 geborene Kläger ist als Glaser beschäftigt. Am 18.01.2010 zog er sich eine Bizepssehnenruptur am linken Oberarm zu, als eine 120 kg schwere Sicherheitsglas-Scheibe auf das Dach einer Pergola montiert wurde.

In der Unfallanzeige des Arbeitgebers vom 25.01.2010 wurde angegeben, beim Anheben einer Glasscheibe sei die Sehne gerissen. Der am Unfalltag aufgesuchte Orthopäde B. diagnostizierte eine distale Bizepssehnenruptur links (H-Arzt-Bericht von Orthopäde B. vom 18.01.2010). Der arbeitsunfähige Kläger wurde stationär vom 26.01.2010 bis 03.02.2010 in der B. Unfallklinik L. (BG-Klinik) behandelt, wo am 27.01.2010 eine offene Refixation der Bizepssehne vorgenommen wurde (Berichte der BG-Klinik vom 25.01.2010 und 02.02.2010). Die bei der Operation entnommene Gewebeprobe wurde untersucht (Bericht des Instituts für Pathologie Klinikum L. vom 01.02.2010). Die BG-Klinik teilte in ihren Arztberichten mit, die Behandlung werde zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung durchgeführt, denn ein Sturzereignis oder ein sonstiger geeigneter Unfallmechanismus sei verneint worden. Aus ärztlicher Sicht habe es sich bei dem Anheben der 120 kg schweren Glasscheibe ohne vorgespannte Bizepssehne um eine Gelegenheitsursache gehandelt.

Mit Bescheid vom 31.03.2010 verneinte die Beklagte Leistungsansprüche aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen des Ereignisses vom 18.01.2010 und lehnte die Feststellung eines Arbeitsunfalls ab. Der geschilderte Geschehensablauf sei nach medizinischen Erfahrungswerten nicht geeignet gewesen, eine Ruptur der Bizepssehne herbeizuführen.

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Das Anheben einer 120 kg schweren Glasplatte stelle für sich betrachtet kein Ereignis dar, das das Maß alltäglicher Belastungen nicht überschreite. In dem hier interessierenden Bereich bestünden keinerlei gesundheitliche Vorschäden. Bei der Verrichtung von im Alltag üblichen Arbeiten komme es regelmäßig auch zum Anheben von Lasten im üblichen Umfang, wobei es in der Vergangenheit gerade nicht zu einer Bizepssehnenruptur gekommen sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 21.07.2010 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Die Beschwerden seien nach einer rein gewillkürten körpereigenen Bewegung aufgetreten, ohne dass ein plötzliches äußeres Ereignis mitgewirkt habe. Trete dennoch bei einem an sich ungeeigneten Hergang eine Schädigung an der Bizepssehne zutage, müsse deren Belastbarkeit infolge degenerativer Veränderungen deutlich herabgesetzt gewesen sein. Es habe bereits eine Krankheitsanlage vorgelegen, die auch ohne die berufliche Tätigkeit in naher Zukunft zu denselben Beschwerden geführt hätte.

Am 16.08.2010 erhob der Kläger vor dem Sozialgericht Mannheim Klage. Er begehrte die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall, denn es sei zu bestreiten, dass es sich bei dem Anheben einer 120 kg schweren Glasplatte um einen das Maß alltäglicher Belastungen nicht überschreitenden Vorgang handele. Bis zu dem Vorfall seien keinerlei Beschwerden in diesem Bereich aufgetreten, er habe sich weder in ärztlicher Behandlung befunden noch gebe es sonstige Hinweise auf eine wie auch immer geartete Vorschädigung. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei auch bei gewillkürten Handlungen die versicherte Tätigkeit wesentliche Mitursache neben konkurrierenden Ursachen, wie z.B. eine Krankheitsanlage, wenn die unversicherte Ursache nicht von überragender Bedeutung sei. Auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 12.04.2005 - B 2 U 27/04 R - (“Grabsteinurteil„) werde verwiesen. Weitere Ermittlungen seien veranlasst.

Die Beklagte trat...

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